Konsultation Szenariorahmen 2030

 

1. Vorbemerkung

Die Netzentwicklungspläne und ihre Szenariorahmen gehen seit Jahren von einem uneingeschränkten, marktgetriebenen freien Stromhandel in Europa aus. Dementsprechend verweist auch der Szenariorahmen 2030 auf die Implementierung der TYNDP (Ten Years Net Development Plan) der ENTSO-E (Vereinigung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber). Durch die erstmalige Angabe von Prognosen von Transitstrommengen im Netzentwicklungsplan Strom 2025 wird deutlich, welche grundlegende Bedeutung die Planungen der ENTSO-E für einen europäischen Binnenmarkt auf das Ausmaß des Netzzubaubedarfs in Deutschland haben können.

Wie bereits in den Begründungen der einzelnen Projekte in den Entwürfen der Netzentwicklungspläne der konkreten Dimension des angenommenen europäischen Stromhandels anscheinend nicht ausreichend Rechnung getragen wird, bleibt auch der Szenariorahmen 2030 an dieser Stelle unkonkret.

Mit der neuen Methodik zur Prognostizierung der Regionalisierung des Stromverbrauchs, mit zunehmender Sektorenkopplung und mit der Einhaltung der Emissionsziele der Bundesregierung über alle Szenarien hat der Szenariorahmen 2030 aber darüber hinaus in Relation zu seinen Vorgängern erfreulicherweise erhebliche Qualifikation gewonnen.

Nichtsdestotrotz bleibt zu konstatieren, dass auch dieser Szenariorahmen durch einen relativ stetigen politischen Rahmen von heute gegenwärtigen energiepolitischen Randbedingungen, die bis ins Jahr 2030 fortgeführt werden, beschränkt wird.

Die aktuellen Fortschritte bei Energieeffizienz, Fortschritte in der Forschung bei Steuerungstechnologie, Fortschritte in der Speicherforschung, Fortschritte in der Gleichstromtechnologie, die Verknüpfung der Höchst-, Mittel- und Niederspannungsnetze werden weiter nicht oder nur unzureichend in Betracht bezogen.

So wird auch dieser Szenariorahmen für die Netzentwicklungspläne zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Es wird ein Szenario kreiert, das insbesondere durch die europäischen Randbedingungen natürlich nur durch den dadurch ermittelten Netzausbaubedarf eintreffen kann.

Ich halte dies für einen grundlegenden Fehler in der Logik und der Methodik der Netzentwicklungsplanung. In der Verantwortung, Netzausbau nur zu betreiben, wo es unbedingt nötig ist, muss der Szenariorahmen 2030 politische, wirtschaftliche und technologische Variablen viel intensiver betrachten und auf dieser Grundlage ein Referenzszenario entwickeln, in dem Netzausbau minimiert wird und die einzelnen Instrumente und Stellschrauben gegeneinander und miteinander in ihrer Wirksamkeit verglichen und bewertet werden. Welches diese Stellschrauben sein könnten, sollte in öffentlichen Dialogveranstaltungen durch die Bundesnetzagentur ermittelt werden.

Erst auf dieser Grundlage wird es möglich sein, im Vergleich mit den bestehenden Leitszenarien die volkswirtschaftlich sinnvollste und sozialverträglichste Lösung so zu finden, dass sie auf breite Akzeptanz stoßen kann.

 

2. Kritik am Szenariorahmen 2030 und Vorschläge

2.1. Einbettung des Szenariorahmens in den europäischen Stromhandel:

Transparenz herstellen und Plausibilität prüfen

Der Szenariorahmen beschreibt seine Einbettung in die Ziele des europäischen Energie-Binnenmarktpakets vom 3.3.2011. In diesen Zielen wird benannt, dass Handelshemmnisse innerhalb der EU abgebaut werden sollen, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern europaweit den Zugang zu möglichst günstiger Energie zu ermöglichen.

Diesen Zielen untergeordnet sollte der Szenariorahmen das Erreichen dieser Ziele kritisch hinterfragen, insbesondere im Hinblick auf externalisierte Kosten.

a) Externe Kosten

Stromnetzausbau führt neben Investitionskosten und Betriebskosten zu weiteren Kosten. Im Rahmen einer Plausibilitätsbetrachtung gegenüber den Zielen des Energie-Binnenmarktpakets der EU sollte der Szenariorahmen entstehende Zusatzkosten durch Bau und Betrieb der Leitungen, Transportverluste sowie Folgekosten für Landschaftsbeeinträchtigungen und ökologische Folgekosten, außerdem steigende Netzentgelte und Rendite, den angenommenen Kosteneinsparung für günstigere Energie und sinkende Kosten für Engpassmanagement entgegenstellen. So soll die Wirksamkeit des Netzausbaus für das Erreichen der oben benannten Ziele validiert und Kenntnis darüber geschaffen werden, inwieweit die Energiekostensenkungen durch einen barrierefreien europäischen Stromhandel die Mehrkosten des dafür notwendigen Netzausbaus für nicht privilegierte Netzkunden kompensiert.

b) Transparenz über die Wirksamkeit der TYNDP der ENTSO-E auf die deutsche Netzentwicklungsplanung herstellen

Obwohl der Szenariorahmen 2030 auf den TYNDP verweist, bleibt undeutlich, welche Rolle dieser für die deutsche Netzentwicklungsplanung überhaupt spielt. Gleiche Kritik wurde bereits an den Netzentwicklungsplänen geäußert. Durch das Ausmaß der Höchstlast von Stromtransiten, wie sie im ersten Entwurf des NEP 2025 angegeben werden, kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass ein nicht unerheblicher Teil des im NEP identifizierten Netzausbaubedarfs direkt aus der zentrale Lage Deutschlands in einem freien europäischen Energiebinnenmarkt her resultiert. Es wäre wünschenswert, wenn diesbezüglich Transparenz hergestellt wird und zusätzlich zu einem diffusen Verweis auf den TYNDP zukünftig konkrete Zahlen in der Beschreibung der Eingangsparameter der Marktmodellierung verwendet werden; nicht zuletzt, um abschätzen zu können, wieviel Spielraum einer nationalen Netzentwicklungsplanung durch die Einbettung in die TYNDP unter einem Regime eines weitgehend liberalisierten EU-Binnenmarktes überhaupt bleibt.

 

 

2.2. Unflexible energiepolitische Rahmen:

Alternativszenario für Netzminimierung entwickeln und politische Stellschrauben identifizieren

 

Der Szenariorahmen geht in der Tradition aller vorhergehenden Szenariorahmen davon aus, dass der gegenwärtige energiepolitische Rahmen weitgehend erhalten bleibt. Dass das unwahrscheinlich ist, haben die immer wiederkehrenden Veränderungen und Nachmodellierungen der Netzentwicklungspläne gemäß veränderter Gesetze gezeigt. Es ist daher nicht plausibel - und mit Gedanken an das Minimierungsgebot sogar methodisch fragwürdig -, mögliche politische Stellschrauben nicht viel mehr in Betracht zu ziehen.

Der Szenariorahmen soll daher, anders als von der Bundesnetzagentur bislang praktiziert, sich mit der gezielten Vermeidung von Netzausbau befassen. Ziel muss sein, der Öffentlichkeit und auch politischen Entscheidungsträgern darzustellen, welche Auswirkungen, Chancen und Risiken eine Netzminimierung mit sich brächte und wie diese zu bewerkstelligen wäre.

Die dafür festzulegenden Kriterien und Zielvorstellungen sollen in einem öffentlichen Dialog durch die Bundesnetzagentur gemeinsam mit den engagiertesten Kritikern des Netzausbaus sowie den einschlägigen Stakeholdern erarbeitet werden.

 

Anregungen:

1. Zielsetzung:

Ökologische Motivation zum Schutz der Landschaft und des Naturraums und Beschleunigung der Energiewende sowie soziale, verbraucherseitige Kostenminimierung

 

2. Sensitivitäten:

a) Marktreglementierung

Durch Regionalisierung der Erzeuger-Verbraucher-Beziehungen können Lastflüsse regionalisiert werden. Dies hätte somit Auswirkungen auf den Netzbedarf. Konkret ist hier zu betrachten, welche Auswirkungen auf zukünftige Lastflüsse die Wälzung der durch Stromhandel entstehenden Kosten auf die jeweiligen Verursacher (Verbraucher, Kraftwerksbetreiber) hätte (Nodal Pricing).

b) Räumliche Abschalthierarchie der konventionellen Kraftwerke

Kohlekraftwerke in Küstennähe können Strom billiger produzieren als Kohlekraftwerke weiter südlich, da für diese höheren Transportkosten der Brennstoffe entstehen. Durch den freien Handel mit Strom innerhalb Deutschlands, dessen Mehrkosten nicht bei den Händlern, sondern wie oben aufgeführt bei den Verbrauchern abgewälzt werden, ist es für Großverbraucher von Strom rentabel, Strom bei Großkraftwerken in Küstennähe einzukaufen. Bei der Abwicklung des fossilen Kraftwerkspark werden nach Marktlogik zuerst die unwirtschaftlichsten vom Netz gehen. Nach gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist ein Kohlekraftwerk umso unrentabler, je weiter es im Süden steht. Die unterschiedliche Lastenverteilung innerhalb Deutschlands wird durch den freien Handel in Zukunft also verschärft werden und erfordert überdimensionierten Netzausbau.

c) Speicherentwicklung

Die mögliche Entwicklung von Speichertechnologie sollte anhand des gegenwärtigen Standes von Forschung und Entwicklung in die Szenarienbetrachtung permanent eingeführt und erörtert werden.

d) Umrüstung auf bedarfsgerechte Biomassestromerzeugung

Ohne den Anteil der Biomasse an der Stromerzeugung zu erhöhen, kann sie zu Spitzenlastzeiten erheblich mehr zur Systemstabilisierung beitragen. Dafür müssten vermehrt Erzeugungsanlagen für Biomassestrom errichtet werden, die zusammen mit derselben Strommenge wie heute mit begrenzten Volllaststunden gezielt im Bereich der Dunkelflaute eingesetzt werden. Sinnvoll erscheint eine entsprechende Betrachtung mit der Begrenzung der Vollaststunden auf 1.000 pro Jahr in einem Referenzszenario.

e) Technologiefortschritt

Die Fortentwicklung von Umrichter-, Gleichrichter-, Transport-, Gleichstrom-, KWK-, und weiteren Technologien sollte als Potential entsprechend einer Wahrscheinlichkeitsabschätzung Eingang in ein Referenzszenario finden.

f) gezielte Regionalisierung des Ausbaus Erneuerbarer Energien

Durch eine zweckmäßige Allokation des Ausbaus der Erneuerbaren Energien kann durch Ausbau von Windkraft im Süden und Photovoltaik im Norden ein Beitrag zur Systemsicherheit erbracht werden. Auch wenn dann durch die geringere Wertschöpfung der Energieformen an den ungünstigeren Standorten Mehrkosten entstehen, bietet das wichtige Vorteile: Das Stromsystem wird auf regionaler Ebene stabilisiert und die Akzeptanz für erneuerbare Energieanlagen kann erhöht werden, nicht zuletzt deshalb, weil in einigen Regionen Nord- und Ostdeutschlands die Anzahl der Windkraftanlagen an exponierten Standorten aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger bereits eine kritische Grenze erreicht hat.

 

3. Conclusio:

Mehr Transparenz herstellen, politische Optionen identifizieren

Der Netzausbau ist in Deutschland höchst umstritten, auch wenn der Eindruck allgemeiner Einsicht auf Notwendigkeit besteht. Die konkrete Ausgestaltung ist Konfliktfeld bei hunderten zukünftigen Trassenanrainern, die Notwendigkeit wird von zig Tausenden Menschen, die sich in zahlreichen Bürgerinitiativen engagieren, in Frage gestellt.

Da der Netzausbau im Allgemeinen als Mittel zur Energiewende dargestellt wird, liegt hier die besondere Verantwortung, durch übermäßigen Netzausbau die Akzeptanz für die Energiewende an sich nicht zu verspielen. Die Bundesnetzagentur ist dieser Verantwortung in der bisherigen Netzplanung nicht ausreichend gerecht geworden, wie die vielfältigen Proteste landauf und landab zeigen.

Ich fordere die Bundesnetzagentur und die Übertragungsnetzbetreiber daher auf, einen Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu initiieren, um gemeinsam mit ihnen die Möglichkeiten, Chancen und Risiken der Netzminimierung im Rahmen des Szenariorahmens 2030 zu erörtern, Zielsetzungen zu ermitteln und dafür politische Handlungen zu identifizieren. Diese Rahmenbedingungen und Maßnahmen sollten sowohl gebündelt, als auch einzeln in ihrer Wirksamkeit überprüft werden, so dass für den Gesetzgeber Anhaltspunkte entstehen, inwieweit er mit geeigneten, klimapolitisch sinnvollen und sozialverträglichen Instrumenten positiv auf die zukünftige Versorgungssicherheit Einfluss nehmen kann.

Ein daraus entstehendes alternatives Szenario für die Netzentwicklungspläne wäre Ausgangspunkt für die Versachlichung der Debatten um konkrete Leitungsprojekte, insbesondere gegenüber den Anwohnern der zukünftigen Trassen.

 

Berlin, 22.2.2016