Netzentwicklungsplan Strom 2030
2. Entwurf

und
Vorläufige Prüfungsergebnisse Netzentwicklungsplan Strom der BNetzA vom 6.8.2019

Konsultation

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Rahmen der Konsultation des 2. Entwurfs des Netzentwicklungsplans Strom (NEP) 2019-2030 und der vorläufigen Prüfungsergebnisse des Netzentwicklungsplans der BNetzA vom 6. August 2019 nehme ich wie folgt Stellung:

Vorbemerkung

Die Frage um den Netzausbau in Deutschland mündet in der Frage, welche Energieinfrastruktur wir zukünftig anstreben: soll sie zentral oder dezentral organisiert sein, sind modular organisierte Netze besser als große Netzverbünde, wer soll an der Wertschöpfung des Energiesektors partizipieren und wer nicht? Ist die Energiewende einmal vollzogen, wird ein Umbau teuer und schwierig. Daher müssen heute bereits die Weichen für das 100-Prozent-Erneuerbare-Energienetz gestellt werden.

Seit dem Inkrafttreten des dritten EU-Binnenmarktpakets wird Europa zur „Kupferplatte“ ausgebaut. Motivation ist dabei nicht vordergründig, technisch und volkswirtschaftlich optimierte Lösungen für eine Europäische Energiewende zu entwickeln. Vielmehr geht es bislang darum, betriebswirtschaftlich optimierte Lösungen für Energiekonzerne und Großverbraucher einzurichten und die Handelsschranken für Strom quer durch den Kontinent zu öffnen. Die Folge davon ist ein erheblicher Netzausbaubedarf, der im Rahmen der europäischen Netzplanung vor allem Deutschland als Transitland im europäischen Netzverbund trifft. Wie die vergangenen Netzentwicklungspläne gezeigt haben, liegt der anvisierte Zubau an HGÜ-Leitungen in Deutschland in derselben Größenordnung, wie die Zunahme europäischen Stromtransits aus Richtung Nordosteuropa in Richtung Südwesteuropa prognostiziert wird.

Kosten laufen aus dem Ruder

Die Kosten des Netzausbaus laufen aus dem Ruder. Die Entwicklung der prognostizierten Gesamtkosten verläuft seit Beginn der NEP-Verfahren stetig steigend und liegt inzwischen nach Prognose der ÜNB für das Szenario B2035 bei insgesamt 95 Mrd. Euro (inklusive 27 Mrd. Euro für die Anbindung von Offshore-Wind).

Gemäß Erfahrungen bei Kostenprognosen öffentlicher Bauprojekte ist zu erwarten, dass die angegebene Kostenabschätzung weiterhin zu gering ist. Gerade bei Kostenprognosen großer Infrastrukturprojekte wie bei Flughäfen, Opernhäusern oder unterirdischen Bahnhöfen hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass ursprüngliche Annahmen um ein ganzzahliges Vielfaches unterschätzt werden können.  Die BNetzA sollte eine Spanne einer Kostenprognose aus Erfahrungen mit großen Infrastrukturprojekten erstellen und darstellen, wie sich dies auf die Netzentgelte auswirkt.

Vollständige volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse fehlt, CBA-Methode mangelhaft, CBA-Ergebnisse intransparent

Die den Ergebnissen der Europäischen Netzentwicklungsplanung und Einstufungen für Projekte gemeinsamen Interesses (PCI) zu Grunde liegenden volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtungen fehlen. So ist es nicht möglich, den massiven Investitionsaufwand volkswirtschaftlich gegenzurechnen und zu rechtfertigen. Die Netzbetreiber führen zwar im Rahmen der Europäischen Netzentwicklungsplanung in Begleitung der TYNDP eine Kosten-Nutzen-Analyse (Cost Benefit Analysis (CBA)) durch, die sich jedoch selbst allgemeiner Kritik und Intransparenz unterziehen lassen muss.

So formuliert ein gemeinsamer Abschlussbericht von Consentec GmbH, RWTH Aachen, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) und Forschungsgemeinschaft für elektrische Anlagen und Stromwirtschaft (FGH) an das BMWi (Abschlussbericht AP2 für das BMWi, 15.02.2018 CONSENTEC / IAEW / ISI / FGH) Kritik am CBA-Prozess für grenzüberschreitende Stromleitungen, die bislang nicht ausgeräumt ist. Das Konsortium weist darauf hin, dass der CBA-Methodik Transparenz über länderspezifische Auswirkungen und die Ermittlung von Verteilungseffekten fehlen.

Die CBA-Methodik selbst muss bei genauerer Betrachtung darüber hinaus als grob fehlerbehaftet bzw. unvollständig angesehen werden, da sie keine volkswirtschaftliche Gesamtabschätzung liefert. Einerseits rechtfertigt sich die Kosten-Nutzen-Analyse von Interkonnektoren aus einer rein rechnerischen Betrachtung veränderter Transportkapazitäten zwischen den Ländern, ohne den zusätzlichen Netzausbaubedarf, der hierfür inländisch anfällt, mitzubetrachten. Andererseits fehlen dem Leitfaden für die CBA-Methodik (2nd ENTSO-E Guideline For Cost Benefit Analysis of Grid Development Projects), die durch die ETNSO-E als Grundlage der Bewertung von Projekten herangezogen wird, grundlegende Methoden zur Ermittlung wesentlicher Auswirkungen von Leitungsprojekten auf die Umwelt und die Bevölkerung. Dass beispielsweise die Bewertung des SuedOstLink nur für 22 km des Leitungsbaus negative Umweltfolgekosten (im Sinne des Berührens von Schutzgebieten) und nur für 29 km soziale Nachteile (im Sinne von Leitungsnähe zu dichter Besiedlung) annimmt und den Rest der Kosten für Umweltverbrauch und soziale Auswirkungen in einem nicht nachvollziehbaren Term den Kapitalkosten (CAPEX) zuschreibt (https://tyndp.entsoe.eu/tyndp2018/projects/projects/130), muss im günstigen Fall als intransparent angesehen werden. Die gegenwärtige Ausweisung allein des CAPEX des SuedOstLink stimmen mit der im Rahmen des NEP übermittelten Kostenübersicht allein schon anhand der Betrachtung der Baukosten für DC-Erdkabel und der Konverterkosten unmöglich überein und wird dort grob unterschätzt. Genauso wie Umweltfolgekosten in ihrer Gesamtheit und langjährigen Auswirkungen offensichtlich nicht berücksichtigt werden, fehlt dem CBA-Ansatz jegliche Aussage über die Verteilungseffekte der Netzkosten. Der erhebliche Refinanzierungsaufwand des geplanten Investitionsvolumens von über 80 Milliarden Euro, der zu einem erheblichen Anstieg der Netzentgelte für Verbraucherinnen und Verbraucher führt, wird mit alternativen Netzmanagementmaßnahmen nirgendwo gegengerechnet. Umweltfolgekosten von Ressourcenabbau und -verbrauch für Material, Bau und Betrieb der Netze gehen nicht in die Betrachtung ein. Wertverfall von Grundstücken entlang der Trassen gehen nicht in die Betrachtung ein. Kostenabschätzungen für eventuelle Fehlplanungen existieren nicht. Zukünftige Zusatzinvestitionen (Speicher, Power-To-X-Anlagen), die sich als netzmindernd herausstellen und Projekte im Nachhinein als Fehlplanung manifestieren könnten, gehen nicht in die Betrachtung ein. Für die Monetarisierung von Artenverdrängung, Schneisenbildung, Veränderung von Biotopen, Boden- und Gewässerauswirkungen, veränderte Mikroklimata u.ä. fehlt jeglicher Ansatz.

Im Übrigen ist es für die Öffentlichkeit nahezu nicht nachvollziehbar, wie die einzelnen CBA-Kriterien der HGÜ-Projekte ermittelt worden sind, da zwar deren Ergebnisse bei den Projektbriefen der ENTSO-E (in Englisch) angegeben sind, als deren Quelle aber lediglich auf die Bedarfsermittlung durch die Bundesnetzagentur (aktuell: Bedarfsermittlung 2017-2030 – Bestätigung Netzentwicklungsplan Strom) verwiesen wird, die diese Berechnungen aber selbst weder enthält noch dokumentiert. Darüber hinaus werden für verschiedene CBA-Kriterien unterschiedliche, weitere Berichte der Bundesnetzagentur als Quelle herangezogen.

Ich fordere daher, der Genehmigung des NEP durch die BNetzA zukünftig die verwendeten CBA-Kriterien, die Berechnungsmethoden, die Erklärungen hierzu und die Ergebnisse hinzuzufügen – für sämtliche Projekte, für die eine derartige Analyse gemacht wurde. Die Aufschlüsselung der eingehenden Parameter und die verwendeten Annahmen sowie die Ergebnisse müssen für die Öffentlichkeit dezidiert transparent nachvollziehbar sein.

Die Bundesnetzagentur muss die angewendeten CBA-Kriterien transparent überprüfen. Sie muss darüber hinaus transparent darstellen, wie sie zur Genehmigung des NEP die Kriterien überprüft, welche Kriterien sie prüft, welche Kriterien unzureichend sind. Die CBA-Methodik sollte darüber hinaus nicht nur auf einzelne Projekte angewendet werden, sondern auch auf die Gesamtheit aller geplanten Projekte, um positive Überlagerungseffekte auszuschließen.

Einfluss europäischer Vorgaben in der Marktmodellierung und Transitleistung

Die Ergebnisse des Netzentwicklungsplans sind ganz erheblich von den Eingangsgrößen Europäischer Marktmodellierung abhängig. Sowohl Netzentwicklungsplan als auch Prüfergebnisse der BNetzA werden in ihren Ausführungen dieser Bedeutung weiterhin nicht gerecht. Der Öffentlichkeit muss klar dargestellt werden, dass die europäische Netzplanung und die weitere Öffnung des europäischen Strommarktes die Haupttriebfedern für die wesentlichen Netzausbauprojekte in Deutschland sind. Im Interesse der Transparenz und einer öffentlichen Diskussion über die Bedeutung des Europäischen Strombinnenmarktes für die Energiewirtschaft Deutschlands, für die Netzkosten in Deutschland, für die Netzentgelte der Endverbraucher, für die Menschen, die in unmittelbarer Nähe mit den Trassen konfrontiert werden, für die Landwirte, deren Flächen verbraucht werden, für Forste, deren Gebiete verloren gehen, für Kommunen, deren Flächen und Landschaften beansprucht werden, für Biotope, die berührt werden, für die Energiewende, deren Akzeptanz beschädigt wird und für die vielen weiteren Aspekte des Netzausbaus, die sich, anders als in NEP und Bedarfsermittlung dargestellt, eben nicht nur positiv und nachhaltig darstellen lassen, muss der Bedeutung des Europäischen Marktes und der TYNDPs endlich Rechnung getragen werden.

Stattdessen ist hier eine Rückwärtsentwicklung bei der Transparenz über die prognostizierten Transitleistungen des deutschen Übertragungsnetzes festzustellen. Bereits zur Konsultation des ersten Entwurfs des NEP habe ich die ÜNB aufgefordert, die Transitströme durch Deutschland nicht nur in Arbeit anzugeben, sondern, wie es bisher üblich war, in prognostizierten Lasten. Die Angabe der Arbeit sagt nichts über die Auslastung des Netzes aus.

Ich fordere daher die BNetzA auf, die Prognose der Transitleistung in die Bedarfsermittlung wieder aufzunehmen.

Darüber hinaus fordere ich die BNetzA auf, den Projektsteckbriefen der einzelnen Projekte Aussagen über ihre Relevanz für den europäischen Strommarkt im Vergleich mit ihrer Relevanz für den Deutschen Binnenmarkt hinzuzufügen.

Die Eingangsgrößen der Europäischen Netzentwicklungsplanung sollen außerdem sehr viel dezidierter und für Extremfälle auch nominal dargestellt werden, da sie für die Ergebnisse der Netzplanung in ähnlicher Weise ausschlaggebend sind wie der komplette restliche Szenariorahmen selbst.

Im Interesse der Transparenz soll die BNetzA im Rahmen der Prüfung der NEP zur Validierung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit aller HGÜ-Leitungen für den deutschen Strombinnenmarkt ein Szenario des Status Quo (keine Zunahme des Austauschs) bezüglich des europäischen Binnenmarktes rechnen. Ergebnisse hieraus könnten impulsgebend für energiepolitische und wirtschaftliche Alternativen sein.

Andere wirtschaftspolitische Maßnahmen und Effekte einer Preiszonentrennung auf die Ergebnisse der Netzplanung ermitteln und volkswirtschaftlich abschätzen

Die Ergebnisse der Netzplanung sind im derzeitigen energiewirtschaftlichen Rahmen statisch eingebettet. Geht man davon aus, dass der wirtschaftliche Engpass zwischen Nord- und Süddeutschland durch Auftrennung der deutschen Preiszone abgebildet wird, ergeben sich unmittelbar Folgen für den Netzausbaubedarf. Diese Folgen müssen volkswirtschaftlich abgeschätzt werden, um ein solches Szenario tiefer zu untersuchen oder zu verwerfen.

Das gleiche gilt für andere Formen energiewirtschaftlicher Regulierung, beispielsweise durch die Einführung eines Nodal-Pricing-Modells im Strommarkt.

Öffentlichkeitsbeteiligung und Konsultation

Weder ÜNB noch Bundesnetzagentur sind verpflichtet, aus dem Pool der eingegangenen Stellungnahmen zu den Konsultationsprozessen bestimmte Hinweise aufzugreifen oder nicht. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist zwar obligatorisch, jedoch nicht bindend. Da zu bestimmten Themen verschiedener Kreise von Konsultationsteilnehmenden immer wieder keine Reaktion in Form von Erklärung, Erläuterung oder Berücksichtigung erfolgt, bleibt es den Teilnehmenden nicht erspart, bestimmte Aspekte repetitiv immer wieder vorzubringen, während Mitarbeiter bei ÜNB und BNetzA diese gleichermaßen repetitiv immer wieder zur Kenntnis nehmen müssen.

 

Mit der Veröffentlichung dieser Stellungnahme bin ich einverstanden.

Ralph Lenkert
Mitglied des Deutschen Bundestages