Netzentwicklungsplan Strom 2023 - 2037/2045
Version 1
Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Konsultation
Systematik
Der NEP 2037/2045 beschreibt kein konsistentes Strom- bzw. Energieinfrastruktursystem. Die Ergebnisse der Marktsimulation in Verbindung mit den Annahmen über handelbare Energieaustauschkapazitäten mit dem Ausland und die aus Speichern verfügbare Stromarbeit sind nicht plausibel.
Unter den Kapiteln 2.6 und 3. stellen die Übertragungsnetzbetreiber klar, dass es nicht Aufgabe des NEP sei, ein versorgungssicheres Stromsystem abzubilden. Die Übertragungsnetzbetreiber können hierbei auf die Genehmigung des Szenariorahmens durch die Bundesnetzagentur und den gesetzlichen Auftrag auf Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes zurückstellen.
Gleichwohl erscheint es unsinnig, ein Infrastruktursystem zu planen, indem alle Stunden des Jahres dezidiert durch Berechnung abgebildet werden, sehr feingliedrige Annahmen für Erzeugung und Verbrauch gemacht werden, letztendlich diese Berechnungen aber einem Szenario zugrunde liegen, das die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten kann und bei Verwirklichung zu gravierenden Unterdeckungen in der Versorgung führen muss. Die Folgen wären volkswirtschaftlich immens schädlich, würden überdies zu ernsthaften sicherheitspolitischen Konsequenzen führen und Menschenleben potentiell gefährden.
Auch wenn kein konkreter gesetzlicher Auftrag besteht, auf die Unzulänglichkeiten des Szenariorahmens einzugehen, ist es Aufgabe aller gesellschaftlichen Akteure, auf möglicherweise bevorstehende Krisen aufgrund von Fehlplanungen hinzuweisen.
Da der Netzentwicklungsplan der ÜNB im Gegensatz zu anderen Arbeiten wie bspw. Studien unabhängiger Institutionen unmittelbar in den Gesetzgebungsprozess münden, ergibt sich eine besondere Sorgfaltspflicht für die ÜNB, Hinweise auf mögliche Probleme klar und deutlich an die Öffentlichkeit und die zuständige Behörde zu kommunizieren.
Der Netzentwicklungsplan steht meiner Auffassung deshalb in einer Beweispflicht, dass die mit ihm verbundenen Investitionsentscheidungen dem Wohl der Gesellschaft und der nächsten Generationen dienlich sind, so dass der von der Bevölkerung beauftragte Gesetzgeber guten Gewissens darüber befinden kann.
Forderung: Im Netzentwicklungsplan müssen dargestellt werden
- Die Repräsentativität des Bezugsjahres, auf dem die Marktsimulation beruht und wie es Fälle langanhaltender extremer historischer Witterungsverhältnisse unter Berücksichtigung des Auslandes, der Witterung im Ausland und der Verfügbarkeit von steuerbaren Erzeugungskapazitäten repräsentativ abbildet
- die tatsächliche resultierenden Residuallast während langanhaltender extremer Witterungsverhältnisse
- die Deckung dieser Residuallast aus Speichern, anderen Flexibilitäten und Handel, wobei sowohl Stromarbeit als auch Leistung nachvollziehbar bilanziell aufgeführt werden sollen
Angabe von Potentialen bei Flexibilität und Speichern
Die Fixierung auf Lastpotentiale bei der Ermittlung von Flexibilitäts- und Speicherpotentialen lässt der Planung nicht entnehmen, welche Kapazität an Stromarbeit den jeweiligen Flexibilitätsmechanismen, egal ob Speicher, DSM, Elektrolyseuren und anderen innewohnt. Es ist so unmöglich nachzuvollziehen, wie das beschriebene Stromsystem 2037 und 2045 die Herausforderungen langwieriger Schwankungen bei der Stromerzeugung ausgleichen soll. Das bloße Abstellen auf Stromimporte und verfügbare Speicherleistung ist nicht überzeugend und rechnerisch nicht nachvollziehbar und sagt nichts über die eingespeicherte und notwendige elektrische Arbeit aus.
Eine – wenigstens grobe – Abschätzung der Flexibilitätspotentiale für den Bereich der Stromarbeit (Wh) gehört zur Plausibilität des Netzentwicklungsplanes dazu. Ich rege daher an, diese Potentiale zu benennen und innerhalb der Methodik tabellarisch aufzulisten.
Flexibilitätspotentiale anhand von Preissignalen
Die Aktivierung der Flexibilitätspotentiale anhand von Preissignalen durch den Strommarkt zu unterstellen, unterstellt auch, dass es einen Durchschnittspreis gibt, der die Lebenswirklichkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher widerspiegelt, so dass der Bedarf an Strombezug kurzfristig lediglich zeitlich verlagert werden könnte. Ein daraus resultierender Ansatz über langandauernde Hochpreise aufgrund massiver Lastunterdeckung durch mangelnde Erzeugung durch Erneuerbare Energien würde bereits heute abschätzen lassen, mit welchen (gravierenden) Einschränkungen Industrie, Gewerbe und Haushalte zu rechnen haben, wenn bei einer anhaltenden Dunkelflaute in Zentraleuropa in den kritischen Versorgungsmonaten November bis Februar der Strombedarf generell nicht gedeckt werden kann. Die Marktmodellierung mit einem Strombezugsjahr, das nicht einem historischen Extremfall gerecht wird, führt zu Fehlplanungen im Stromnetz und bei den Erzeugungskapazitäten, die auch durch Preissignale nicht mehr zu den nötigen Flexibilitäten führen. Auf diese Weise droht in den Szenarien für 2045 eine Strommangellage in Ost- und Zentraleuropa, mithin auch in Deutschland. Angesichts der neuesten Erkenntnisse über das Entgleisen der Energiemärkte trotz Gewährleistung der Deckung der Nachfrage und notwendiger staatlicher Eingriffe stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, ob das hier vorliegende Verfahren der Netzplanung als potentiell gefährlich für die Versorgungssicherheit anzusehen ist.
Wenn in Strommangellagen ein Strompreis herrscht, der für die Allgemeinheit nicht erschwinglich ist und der Energieverbrauch durch staatliche Hilfen mitfinanziert wird, verliert das Preissignal an unmittelbarer Wirkung bzw. unterliegt eskalierenden Schwankungen, die dann oft nicht auf der Verfügbarkeit von Erzeugungsleistung, sondern auf Spekulationen beruhen.
Ich rege daher an, die Aktivierung von Speichern und anderen Flexibilitätsoptionen an zusätzliche Kriterien als an die Preissignale hinaus zu knüpfen, denn Flexibilitäten müssen letztendlich systemdienlich, nicht marktdienlich sein.
Flexibilitätseinsatz durch Batteriespeicher irreführend
Das nominale Flexibilitätspotential, wie auf Grundlage des Szenariorahmens im NEP beispielhaft beschrieben, ist nicht aussagefähig. Es geht zwar davon aus, dass Batteriespeicher lastseitig jederzeit frei gefahren werden können. Die angenommene Kapazität aller Batteriespeicher ist aber insgesamt sehr gering, das heißt, ihr Flexibilitätspotential in eine Richtung steht nur für sehr kurze Zeit zur Verfügung. 140 Gigawatt angeschlossene Batteriespeicher werden insgesamt laut Aussage des Szenariorahmens eine Kapazität von ungefähr 280 Gigawattstunden haben (3.6. Genehmigung des Szenariorahmens: 2kWh/kW). Das entspricht weniger als 10 Prozent des mittleren Tagesbedarfs der Gesamtstrommenge in Deutschland. Es ist offensichtlich, dass dieses als ein Hauptinstrument (Batteriespeicher) der Flexibilität angesehene Instrument in extremen Witterungslagen kapazitiv sehr schnell an seine Grenzen stoßen wird.
Ich fordere daher, die Verfügbarkeit bzw. das Potential von Batteriespeichern im Tagesgang für beispielhafte Tage (viel Sonne, viel Wind und keine Sonne, kein Wind) darzustellen. Insbesondere ist die Klärung der Frage notwendig, wie Batteriespeicher an dunklen Wintertagen als Strombezieher das Gesamtsystem beeinflussen, wenn sie ihre Flexibilitätsfunktion beibehalten sollen.
Regionalisierung Elektrolyseure
Zu 2.4.3. Regionalisierung installierter Leistung der Elektrolyseure
Aus der Beschreibung des Ansatzes geht hervor, dass die Verortung der Elektrolyseure nicht zwingend dem Standort von Erzeugungsanlagen Erneuerbarer Energien folgt, sondern dem Netzausbau selbst. Das impliziert, dass Elektrolyseure selbst doch nicht netzmindernd verortet werden. Die Erklärung „Die Verortung der Elektrolyseure wird unter Berücksichtigung der neu ermittelten Netzausbaumaßnahmen mit dem Ziel angepasst, die deutschlandweiten Engpässe im Übertragungsnetz zu reduzieren.“ bedarf weiterer Erläuterung, insbesondere, weshalb die BNetzA derartige Vorgaben macht.
Da also der Standort von Elektrolyseuren nach diesem NEP Einfluss auf die Engpässe im Stromnetz hat, sollten Elektrolyseure und ihre konkreten Standorte Bestandteil der Netzentwicklungsplanung sein, um die volkswirtschaftlichen Kosten gering zu halten.
Bei der Methodik zur Herleitung von Einsatzprofilen wird eine „breite Verfügbarkeit einer Wasserstoffinfrastruktur“ unterstellt. Da diese bereits in 14 Jahren in diesem Maße existieren soll, ist die Lokalisierung der Elektrolyseure wie oben beschreiben mit der unterstellten Verfügbarkeit zu evaluieren. Stellt sich heraus, dass beide Ziele absehbar nicht vereinbar sind, muss die Lokalisierung der Elektrolyseure als unrealistisch angenommen werden und bedarf einer Überarbeitung. Der NEP sollte hierüber aufklären.
2.6. in Verbindung mit 3. Marktsimulation: Lastnahe Reserven
Ein Infrastruktursystem per stundengenauer Lastberechnung zu planen, um dann in einem Nebenabschnitt einen sehr wesentlichen, kritischen Teil des Systems als Randvariable einzuführen, ist absurd. Diese sogenannten lastnahen Reserven sind entscheidend bei der Frage, ob das Gesamtsystem funktioniert oder nicht. Da bislang jedwede Speicheroffensive fehlt, bis zum heutigen Tag nie beantwortet wurde, wie im Falle einer anhaltenden Dunkelflaute in Zentraleuropa die Versorgungssicherheit gewährleistet werden soll, ist anzunehmen, dass diese „lastnahen Reserven“ als technologieoffen anzusehen sind.
Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, welcher Art diese „lastnahen Reserven“ sind:
Entweder handelt es sich um eine (Rück)-verstromung eingespeicherter Erneuerbarer Energieträger, oder es handelt sich um fossile Erzeugungsanlagen. Diese pauschal als für den europäischen Strommarkt frei verfügbar und entsprechend der Spitzenlast proportional an Netzknoten angeschlossen anzunehmen, ist eine Vorfestlegung: innovative dezentrale Speichertechnologien auf niedrigeren Netzebenen werden auf diese Art nicht berücksichtigt. Ihr Potential zum Ausgleich von Stromerzeugung und Stromverbrauch geht bei dieser Art der Planung verloren.
Im NEP heißt es: „Die Aufgabe des NEP ist es nicht, die erzeugungsseitige Versorgungssicherheit und die Existenz notwendiger Investitionsanreize im Zeitverlauf zu bewerten. Es wird im Szenariorahmen nicht sichergestellt, dass der angenommene Kraftwerkspark und die zur Verfügung stehenden Flexibilitätsoptionen in allen Szenarien ausreichen, um die Last in jeder Stunde zu decken.“ (2.6. S.46)
Wie gravierend falsch dieser Ansatz ist, wird deutlich, wenn man aus mehrjährigen Zeitreihen der EE-Einspeisung der vergangenen Jahre im Vergleich mit ihrer jeweils installierten Leistung eine grobe Abschätzung mit den Vorgaben des Szenariorahmens macht und nicht 2012 als Bezugsjahr annimmt. Die mittlere Residuallast müsste grob überschlagen allein entsprechend einer gewesenen ungünstigen Wetterlage innerhalb der vergangenen 10 Jahre (Jan-Feb 2013) – hochgerechnet mit den Annahmen für das Jahr 2045 - in einem 3-wöchigen Zeitraum auf eine Unterdeckung des Strombedarfs von ca. 1,2 TWh pro Tag und einer mittleren permanent aufzubringenden zusätzlichen Leistung von 50 GW für den gesamten Zeitraum von drei Wochen entsprechen.
Diese Stromlücke (ca. 25 TWh über 21 Tage = im Mittel 50 GW Leistung), die allein bei der Betrachtung dieses Ereignisses zustande käme, wäre mit keinem derzeit angedachten Flexibilitätsansatz zu schließen, beträgt lastseitig 50 GW zusätzlich zu den 46 GW konventioneller Erzeugung, übersteigt die Interkonnektorenkapazitäten (45 GW), wäre wegen mangelnder Verfügbarkeit im Ausland ohnehin nicht handelsseitig zu schließen und muss daher für die Netzentwicklungsplanung in Bezug auf die Versorgungssicherheit von höchster Relevanz sein.
Es folgt aus dieser Überlegung, dass für das weiter ungelöste Problem der „Lastnahen Reserve“ kein volkswirtschaftlich darstellbares Konzept besteht, das mit den Klimazielen vereinbar ist. Es steht zu befürchten, dass die Lösung dieses Problems auf spätere Netzentwicklungspläne verschoben wird, die dann weiteren Investitionsbedarf zur Lösung des dann drängenden Problems „Dunkelflaute“ anmelden.
Eine Stellungnahme zu dieser Thematik – wie konkret das Problem der saisonalen Speicherung bzw. der Dunkelflaute darstellbar ist, muss dem NEP endlich hinzugefügt werden. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die notwendigen Reservekapazitäten und Importkapazitäten und deren Preissignalen im europäischen Kontext.
Europäischer Rahmen und volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Der europäische Rahmen gibt wesentliche Transitflüsse über das deutsche Übertragungsnetz vor und provoziert einen wesentlichen Anteil des als notwendig erachteten Netzausbaus. Dankenswerterweise wird mit dem vorliegenden Entwurf wieder eine Abschätzung der maximalen Transitleistung für 2045 gemacht.
Forderung: An der Stelle der Integration des Netzentwicklungsplans in den europäischen Kontext muss dringend eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse erstellt werden. Die Cost-Benefit-Analysis (CBA) aus der europäischen Netzentwicklungsplanung beschränkt sich weiterhin allein auf die einzelnen Interkonnektoren, nicht aber auf den dadurch erforderlichen Netzausbaubedarf.
Mit der Veröffentlichung dieser Stellungnahme bin ich einverstanden.
Ralph Lenkert, MdB