Konsultation zum Szenariorahmen 2023-2037 des Netzentwicklungsplans Strom

EnergiewendeNetzausbauWahlkreisaktivitäten

Es ist mal wieder soweit: alle zwei Jahre präsentieren uns die Übertragungsnetzbetreiber ihre Annahmen für das zukünftige Stromsystem, anhand derer sie die Netzausbauplanung vollziehen. Diesmal gab es einen Qualitätssprung. Drängende Fragen zur Systemsicherheit sind aber weiter offen: wird das System so, wie skizziert, droht der Black-Out. Die Öffentlichkeit hat die Möglichkeit, diese Annahmen zu Kommentieren, Kritiken zu äußern und Vorschläge zu machen. Ich beteilige mich seit vielen Jahren an der Öffentlichkeitsbeteiligung. Hier ist meine Stellungnahme.

https://www.ralph-lenkert.de/themen/netzausbau/szenariorahmen-nep-2023-2037

Netzentwicklungsplan Strom
Szenariorahmen 2023-2037
1. Entwurf
Konsultation

Stellungnahme

 

Vorbemerkung:

Der Szenariorahmen 2023-2045 vollführt einen Qualitätssprung gegenüber vorherigen Szenariorahmen. Die Einbeziehung wesentlicher Studien der aktuellen politischen Diskussion ist sehr begrüßenswert. Erstaunlich ist, dass dies erst nach Jahren der wiederholten Kritik geschieht, nach der seitens ÜNB und BNetzA aber immer wieder auf die gesetzlichen Rahmen verwiesen wurde, nach denen der Szenariorahmen erstellt würde. Dieser gesetzliche Rahmen hat sich formal nicht wesentlich geändert, der Szenariorahmen aber erheblich. Der ganze Prozess wirkt nunmehr noch willkürlicher, obgleich die Annahmen, die diesem Szenariorahmen zugrunde liegen, zielführender erscheinen.

 

Problem bleibt bestehen: Fehlen gesicherter Leistung
– massive Leistungsunterdeckung bei ungünstiger Witterung

Ein Referent der ÜNB meinte während der Dialogveranstaltung am 10.02.2022, dass die Dunkelflaute „vermutlich nicht netzausbaurelevant“ sei.

Bei ungünstiger Witterung und über längere Zeiträume vorherrschende ungünstigen Wettersituationen kommt es mit den angenommenen Erzeugungs- und Speicherkapazitäten im Jahr 2045 regelmäßig zu einer erheblichen Unterdeckung der Spitzenlast. Bei einer angenommenen Effizienz der Offshore-Windkraft von 15 Prozent, Onshore-Windkraft von 5 Prozent und PV-Leistung von für Wintermonate typischen Tagesdurchschnittswerten von unter einem Prozent (diese Werte können anhand bereits bestehender Leistungswerte aus Zeitreihen der vergangenen Jahre bei der Erzeugung von Erneuerbaren Energien nachvollzogen werden, auch für längere Zeiträume von mehreren Tagen bis hin zu Wochen) wird eine etwaige Spitzenlastsituation von 100 Gigawatt Last um mindestens 17 Gigawatt unterdeckt. Diese Leistung muss kurzfristig täglich aus Speichern sichergestellt werden können, ggf. über mehrere Wochen. Andernfalls wird es nötig sein, StromLEISTUNG in Größenordnungen von 20 Gigawatt (oder mehr, je nach Spitzenlast) zu importieren, zusätzlich zum darüber hinaus nötigen kontinentalen Ausgleich. Es gibt kein volkswirtschaftlich sinnvolles Szenario, nach dem diese Leistung über Interkonnektoren transportiert werden könnte. Es ist außerdem unklar, wie diese Leistung am europäischen Markt beschafft werden soll, wenn dieselbe Witterungslage im benachbarten Europäischen Ausland ebenfalls besteht. Das Szenario deutet darauf hin, dass im benachbarten europäischen Ausland sehr erhebliche Erzeugungskapazitäten von Atomkraft oder verbleibenden fossilen Kraftwerken bestehen bleiben müssten. Hierbei ist das Szenario 2045 auf Carbon Leakage zu prüfen und auf die Vereinbarkeit von atomarer Stromerzeugung mit den Zielen der Energiewende.

 

Speicher und Interkonnektoren

Niemand kauft sich einen mobilen Akku für ein Mobilgerät, wenn er dessen Kapazität nicht kennt. Ebenso wenig würde man sich ein Ladekabel für einen solchen Akku kaufen, wenn dieser nur für 2 Minuten Strom liefert. Der Szenariorahmen mutet der Öffentlichkeit aber genau dies zu: Eine Netzplanung auf Grundlage bekannter Stromleistung, ohne die Kenntnis, wie lange uns diese Leistung zur Verfügung steht und ob deshalb das Kabel, mit der sie angeschlossen wird, sinnvoll ist.

Inwieweit werden Großbatteriespeicher (2045: 57,1 GW) zur Primarregelung des  Netzes benötigt, wieviel Kapazität haben sie also verfügbar, um real flexible Stromarbeit für die Aufrechterhaltung des Gesamtsystems über einen längeren Zeitraum (mehrere Stunden) zu leisten? Die gesamte Frage des Speicherregimes wird untergeordnet oder gar nicht behandelt. Es ist offensichtlich, dass dem Szenariorahmen weiterhin belastbare Aussagen hin zu Langzeitspeichern fehlen. Da diese Langzeitspeicher aber essentiell für das Funktionieren des Stromsystems in naher Zukunft sind, und sie je nach Verortung im Stromsystem erhebliche Auswirkungen auf den Netzbedarf haben dürften, muss diese Frage nun unmittelbar für die weitere Netzplanung beantwortet werden: Wie soll 2045 die Versorgungssicherheit gewährleistet werden und welche Interkonnektor- bzw. Speicherkapazitäten erfordern dafür welchen Netzbedarf? Können aus Gründen der Versorgungssicherheit benötigte Kurz- und Langzeitspeicher gut lokal positioniert zusätzlich den Auslastungsgrad von Stromleitungen signifikant erhöhen und damit den Netzausbaubedarf verringern? Diese Fragen müssen beantwortet werden um einerseits volkswirtschaftliche Kosten zu verringern und andererseits die limitierten Planungs- und Baukapazitäten und natürlich auch Ressourcen zu sparen und damit insgesamt den Umbau des Energiesystems zu beschleunigen.

Für das Szenario B 2045 schlage ich vor, eine Extremwertanalyse zur Bestimmung des NTC zu machen: Nehmen wir an, dass die Speicheroptionen so sind, wie sie im Szenariorahmen beschrieben werden und dass in ganz Deutschland und Teilen des benachbarten europäischen Auslandes eine Dunkelflaute vorherrscht. Bestimmt man nun die auf dem europäischen Markt verfügbare Kraftwerksleistung zur Versorgung der Defizite im gesamten europäischen Verbundnetz und modelliert die resultierenden Lastflüsse: woher kommt die in Deutschland benötigte Last, wieviel Last muss zusätzlich durchgeleitet werden? Wieviel Interkonnektorkapazität verlangt die Sicherheit des Stromsystems dann (über mehrere Tage)? Das ist der anzusetzende NTC-Wert für die Interkonnektoren. Ist dieser absurd hoch, wird deutlich, dass der Szenariorahmen überarbeitet werden muss und entsprechende Empfehlungen von der BNetzA an das Wirtschaftsministerium und den Bundestag zu ergehen haben.

Hält es die Bundesnetzagentur im Angesicht des zu veranschlagenden Kapazitätsbedarfs für Interkonnektoren weiter für zielführend, bei der volkswirtschaftlichen Betrachtung weiterhin nur nach NTC auf den jeweiligen Interkonnektor zu blicken oder auch auf den Netzausbaubedarf, den dieser Interkonnektor inländisch provoziert?

 

Rolle der Biomasse

Die Rolle der Biomasse wird im Vergleich mit vorherigen Szenariorahmen als erheblich schrumpfend in der Stromerzeugung angesetzt, da sie vorrangig in anderen Energieanwendungen Verwendung finden soll. Biomasse aus der Grundlast-Verstromung zu nehmen, ist als Ansatz grundsätzlich sinnvoll. Trotzdem kann Biomasse durch Verwendung als Biomethan eine Antwort auf die drängende Problematik der Langzeitspeicheroption sein. Hierfür müssen aber entsprechende (erhebliche) Gaskraftwerkskapazitäten vorgehalten werden (wenig Volllaststunden, hohe Leistung). Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Szenariorahmen eine scheinbar konkurrierende Erzeugungslage zwischen Strom aus Wasserstoff und Biomasse prognostiziert, der jeweils aus Gaskraftwerken bereitgestellt wird. Der Szenariorahmen führt nicht aus, weshalb der Erzeugung von Strom aus Wasserstoff hier anscheinend ein unmittelbarer Vorrang gegenüber der Biomasse eingeräumt wird. Könnte das bitte in der Genehmigung erläutert werden?

Die Bundesnetzagentur sollte in einem gesonderten Gutachten die volkswirtschaftlichen Kosten für Biomasse als Langzeitspeicheroption in Form von Methan in bereits existierender Gasinfrastruktur abschätzen und anderen Speicher- bzw. Importoptionen für Zeiten ungünstiger Witterung gegenüberstellen (inkl. anzunehmendem Carbon-Leakage, denn auch Atomkraft ist nicht klimaneutral).

 

Lokation noch nicht errichteter Kraftwerke

Laut Aussage eines Referenten bei der Dialogveranstaltung vom 10. Februar 2022 zum Szenariorahmen fehlen dem Szenariorahmen absichtlich Angaben darüber, wo noch zu errichtende Kraftwerke tatsächlich errichtet werden, um mit solchen Annahmen keinen zusätzlichen Netzausbaubedarf zu ermitteln.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass durch eine sinnvolle Lokation noch zu errichtender Kraftwerke sehr wahrscheinlich Netzausbaubedarf verringert werden könnte. Der Szenariorahmen sollte sich ganz im Interesse des NOVA-Prinzips mit exakt dieser Frage befassen. Der Bundesnetzagentur muss als Regulierungsbehörde an einer volkswirtschaftlich günstigen Lösung gelegen sein und die sollte diesen Prozess vorantreiben.

 

Fazit:

Obwohl dieser Szenariorahmen offensichtlich besser zur weiteren Planung geeignet ist, verursacht er wiederum mehr Fragen als er beantwortet. Im Rahmen einer Studie über die weiteren Probleme und Aufgaben bei der Planung der Energiewende ist er ein guter Impulsgeber. Als Grundlage für eine einmal Gesetzesrang erhaltende Netzausbauplanung taugt er nicht.

 

Berlin, 14.02.2022
Ralph Lenkert, MdB