25 Jahre Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag

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Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Immer schneller entwickeln sich Wissenschaft und Technik, immer komplexer werden Zusammenhänge in der Gesellschaft und machen Bewertungen und politische Entscheidungen ohne systematische Analyse fast unmöglich.

Seit Mitte der 90er-Jahre eröffnete das Internet uns allen völlig neue Möglichkeiten, aber es beschleunigte auch unser Leben. Es veränderte unsere Arbeit, wurde Bestandteil unserer Freizeit, ermöglichte schnellen Informationsaustausch und öffnete weltweit virtuelle Grenzen. Aber auch Gerüchte, gezielte Desinformationen, Hass und Lügen werden schnell im Netz verbreitet und können Menschen und Gesellschaften manipulieren und im schlimmsten Falle zerstören. Wie sollte man mit dieser Entwicklung umgehen? Braucht es neue Regeln und Gesetze, oder ist Aufklärung der bessere Weg?

Für diese Entscheidungen benötigen wir Bundestagsabgeordnete unabhängige professionelle Beratung. Seit 25 Jahren gibt es deshalb die Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Wir würdigen mit unserer heutigen Debatte dieses Jubiläum.

Die Abgeordneten der Fraktionen, die Ausschüsse melden Themen mit Beratungsbedarf an. Wir Berichterstatter treffen dann die schwere Auswahl im Konsens und begleiten die Arbeit des TAB. Ich danke im Namen meiner Fraktion allen Berichterstattern, Ihnen, Frau Lips, als Ausschussvorsitzende, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des TAB-Büros und allen Partnerinnen und Partnern für die gute Zusammenarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein konkretes Beispiel zur Arbeit des TAB: Erinnern Sie sich an die heftigen Auseinandersetzungen um CCS, Carbon Dioxide Capture and Storage, den Technologien zur Kohlendioxidabtrennung und ‑speicherung? CCS sollte Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken und Zementwerken unterirdisch einlagern und somit aus der Atmosphäre heraushalten, um das Klima zu schützen. Aber viele Fragen standen im Raum.

Der TAB-Bericht Nummer 120/2007 betrachtete mögliche CCS-Technologien. Er analysierte mögliche Beiträge zum Klimaschutz. Er benannte aber auch, dass Menschen und Tiere bei einem plötzlichen Austreten von CO2 ersticken könnten, dass das Grundwasser kontaminiert werden kann. Diese Erkenntnisse führten zur Ablehnung von CCS bei vielen Menschen, auch bei der Linken.

Das TAB-Hintergrundpapier 18/2012 stellte dann fest: CCS rechnet sich finanziell nicht und vor allem: Die Technologien verbrauchen so viel Energie und Ressourcen, dass ein positiver Gesamteffekt für das Klima unsicher ist. Die Bundesländer beschlossen daraufhin den Ausstieg aus CCS. Politisch ist CCS somit - auch dank der TAB-Berichte - erledigt.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielleicht kennen Sie den Roman BLACKOUT - Morgen ist es zu spät von Marc Elsberg, der sich am TAB-Bericht 141/2010 „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften - am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“ orientierte. Hier zwei Problembeispiele aus dem TAB-Bericht und dem Roman: Bei einem flächendeckenden Stromausfall brechen digitale Kommunikation, also Digitalfunk, Internet und IP-basierte Telefonie innerhalb von Minuten zusammen. Mit Batterien funktionieren analoge Telefonnetze noch zwei Tage ohne externe Stromzufuhr. Das ist beim Internet aufgrund des deutlich höheren Strombedarfs und anderer Endgeräte nicht möglich. UKW- und Mittelwellenfunk kann mit Batterien oder einfachsten Ladegeräten dauerhaft funktionieren. Die vielen notwendigen Umsetzstationen des Digitalfunknetzes mit Notstrom zu versorgen, ist unbezahlbar.

Die Telekom aber schaltet derzeit trotzdem ihr analoges Telefonnetz aus Profitgründen ab. Polizei und Behörden stellen auf Digitalfunk um, und die alte Technik wird aus Kostengründen entsorgt. Im Moment ist dies bequem, aber im Katastrophenfall wird dies verheerende Auswirkungen haben. Das TAB benannte schon vor sechs Jahren die Risiken der heutigen Entwicklung. Die Linke wird jede Entscheidung zum Erhalt oder zur Neueinrichtung der Kommunikationsstruktur für Havarien und Notfälle unterstützen.

Ein zweites Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Supermarkt an der Kasse, und der Strom fällt aus. Elektronisches Bezahlen wird unmöglich, Bargeldzahlung könnte noch funktionieren. Hält der Stromausfall länger an, ist kein Handel, keine Notwirtschaft mehr möglich. Die EU stellt nun aber aus Sicherheitsgründen das Bargeld infrage, weil sie vermutet, dass illegale Geldströme, Steuerhinterziehung und Kriminalität ohne Bargeld deutlich sinken könnten. Die bargeldlose Gesellschaft nutzt neben unserer Bequemlichkeit jedoch nur drei Gruppen: Banken, die mehr Transaktionsgebühren einstreichen, Händlern, weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einspart, und denen, die uns mit diesen Informationen überwachen oder manipulieren wollen.

Kriminelle und Steuerhinterzieher werden neue Wege finden, ihre schlechten Absichten umzusetzen. Denen schadet das fehlende Bargeld höchstens temporär. Ich meine, Bargeld ist Schutz vor lückenloser Überwachung und eine Absicherung bei Stromausfall.

Der Bericht 141/2010 des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag empfiehlt übrigens, Bargeldreserven für Katastrophenfälle bereitzuhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Internetauftritt des Petitionsausschusses des Bundestages entstanden neue Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe wie öffentliche Petitionen. Als der entsprechende Modellversuch im Jahre 2005 begann, wurde er durch zahlreiche Untersuchungen des TAB begleitet. Die Befragung der Wählerinnen und Wähler durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag lieferte wichtige Beiträge zur Gestaltung der dauerhaften Plattform epetitionen.bundestag.de. Jede Internetnutzerin, jeder ‑nutzer kann jetzt Petitionen einstellen, mitzeichnen, diskutieren und die Entscheidungen des Petitionsausschusses nachverfolgen. Auch dank des TAB wurde das Portal zum meistbesuchten Bereich des Internetauftritts des Deutschen Bundestages: mit über 4 200 Petitionen von allgemeinem öffentlichen Interesse, fast 2 Millionen angemeldeten Nutzern, 250 000 Diskussionsbeiträgen und 3,6 Millionen Petitionsmitzeichnungen.

Liebe Haushälterinnen und Haushälter, insbesondere von der Union, wir sind uns fraktionsübergreifend einig: Die Technikfolgenabschätzung des Bundestages ist wichtig und unverzichtbar. Seit 2011 wurde der Jahresetat des TAB in Höhe von 2,1 Millionen Euro nicht mehr angepasst. Jetzt haben wir Berichterstatter gemeinsam für 2017 eine Erhöhung vorgeschlagen. Ja, 25 Prozent klingen viel. Aber es ist die erste Erhöhung seit sechs Jahren, und absolut sind es nur 527 000 Euro - eine verschwindend kleine Summe bei einem Bundesetat von über 300 Milliarden Euro. Auch die Forschungsausgaben stiegen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent oder 2,6 Milliarden Euro - bei jährlichen Steigerungen fiel bloß dieser Prozentsatz nicht so auf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Abgeordnete haben mit der Technikfolgenabschätzung des Bundestages ein wertvolles Instrument. Pflegen wir es! Stellen wir die notwendigen Mittel bereit! Erhöhen wir den Jahresetat des TAB auf 2,6 Millionen Euro - als Geburtstagsgeschenk! Die Linke dankt und gratuliert dem TAB und stimmt der Etaterhöhung zu.

Ich hoffe, Sie alle schließen sich dem an.

Vielen Dank.