Offener Brief "Kommunale Finanznot beenden"

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sehr geehrter Herr Gabriel, sehr geehrter Herr Seehofer,

in Thüringen droht nach Angaben der Landesregierung derzeit elf Kommunen die Zwangsvollstreckung. Rund zehn Prozent der Gemeinden im Freistaat Thüringen haben keinen genehmigten Haushalt für 2013, weil ihnen das Geld fehlt. Fast die Hälfte der kommunalen Haushalte konnte nur durch Zugriff auf Rücklagen ausgeglichen werden und das in einem Jahr wirtschaftlicher Stabilität.

Viele Kommunen in Thüringen sind strukturell unterfinanziert. Die zugewiesenen Mittel reichen nicht aus, um die notwendigen Aufgaben zu erfüllen. Das zeigen exemplarisch die Städte Suhl, Eisenach und Gera, aber auch viele kleine Verwaltungsgemeinschaften und Gemeinden. Die Steuersenkungen seit 2002 haben zu erheblichen Mindereinnahmen geführt (allein für Gera ca. 20 Mio. Euro). Zudem haben die Landesregierung Thüringen und diverse Bundesregierungen den Kommunen im Sozial- und Umweltbereich Aufgaben erweitert und übertragen, ohne deren Finanzierung dauerhaft abzusichern. Die Praxis der jährlichen Degression der Zuweisung führt zu Löchern in den kommunalen Haushaltskassen. 

Am Beispiel von Gera erkennt man, dass selbst bei radikalem Kürzen und Streichen, sowie Steuersätzen (Hebesatz Grundsteuer B = 650 Prozent) – die im bundesweiten Vergleich an der Spitze liegen – kein Haushaltsausgleich mehr möglich ist. Der Kassenkredit steigt bei einem Haushaltsvolumen von 220 Mio. Euro auf über 60 Mio. Euro. Die Kommunen in den strukturschwachen Gebieten sind längst am Ende der verfassungsmäßig garantierten kommunalen Selbstverwaltung angekommen. Eine Stadt wie Gera kann nicht nach jahrelanger Konsolidierung noch mal 100 Mio. Euro in zehn Jahren aus dem städtischen Haushalt „herauspressen“ und selbst das würde nicht reichen, wenn es nicht endlich eine grundsätzlich andere, bessere Finanzausstattung der kommunalen Ebene gibt.

Als gewählter Bundestagsabgeordneter appelliere ich an Sie, die Verpflichtung aus dem Grundgesetz zur Herstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse in ganz Deutschland ernst zu nehmen.

Übermäßige Belastungen von Bürgerinnen und Bürgern durch steigende Gebühren bei gleichzeitig sinkender kommunaler Leistungsfähigkeit in strukturschwachen Regionen müssen beendet werden. Helfen Sie den Kommunen! Sei es in Gera, Suhl, Wuppertal oder Gelsenkirchen.

Entlasten Sie die Kommunen direkt! Weitere Zuschüsse für Kommunen über die Länder kommen zumindest bei den Thüringen Kommunen häufig nicht an. Der Freistaat saniert seinen Haushalt zu Lasten der kommunalen Haushalte. Unser Finanzminister kürzt bei höheren Bundeszuschüssen die Zuschüsse des Landes an die Kommunen entsprechend.

Deshalb bitte ich Sie zu vereinbaren, dass der Bund ab 01.01.2014, statt seinen Anteil an den Kosten der Unterkunft von 30,4 Prozent auf 27,6 Prozent zu senken, diesen auf mindestens 70 Prozent erhöht.

Ich frage Sie:

Wie kann aus Ihrer Sicht die strukturelle Schieflage vieler Thüringer Kommunen und den Kommunen anderer Bundesländer in Zukunft vermieden werden? Welche Rolle spielt das Thema „Unterfinanzierung der Kommunen“ bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen? Welche Lösungsansätze sehen Sie, um der kommunalen Finanznot kurz-, mittel-, und langfristig entgegenzuwirken?

Mit freundlichen Grüßen

Ralph Lenkert, MdB