Ökologischer Anspruch versus soziale Realität

Blaue Plakette: Millionen Dieselfahrer für Abgasskandal in Mithaftung nehmen?

Die blaue Plakette soll kommen, wenn es nach der Umweltministerkonferenz der Länder geht. Und zwar so schnell wie möglich. Demnach könnten bald alle Fahrzeuge, die der Euro-6-Norm nicht entsprechen, aus den Innenstädten verbannt werden. Dabei geht es nicht nur um mehr als 13 Millionen ältere Diesel-PKWs, sondern um alle Fahrzeuge, die „nur“ Euro 4 oder 5 Norm erfüllen.

Ist die Einführung solch einer Plakette notwendig? „Jein“. Die Euro-6-Norm begrenzt nicht nur den Feinstaub, sondern nimmt endlich auch vermehrt Stickoxide in den Blick. Stickoxide entstehen jedoch nur bei Dieselverbrennung in relevanten Mengen. Die erste Frage lautet „Warum sollen jetzt ältere Benzin- und Gasfahrzeuge, die keinen Anteil an den Stickoxidbelastungen unserer Städten haben, ausgesperrt werden?“ Die Hauptverursacher von Stickoxiden sind  ältere Diesel-PKWs. Diese emittieren, wie seit Monaten bekannt, erheblich mehr Stickoxid und Feinstaub, als bei der Zulassung angegeben, und viel mehr als nach Normung erlaubt.

Aus Gesundheitsgründen sind Maßnahmen zur Stickoxid- und Feinstaubreduzierung zwingend erforderlich. Die Frage ist aber auch, ob die Einführung solch einer Plakette sozial verantwortbar ist. Für DIE LINKE ist nicht akzeptabel, das Käufer von Dieselfahrzeugen, die den Aussagen der Autoindustrie zur Umweltfreundlichkeit von Dieseln glaubten und die durch die Falschangaben der Autohersteller betrogen wurden, jetzt auch noch durch Fahrverbote geschädigt werden. Die blaue Plakette würde zu einer massiven Einschränkung von Mobilität führen und mindestens 13 Millionen Diesel-PKWs aus den Innenstädten verbannen.

Das durch die Bundesregierung scheinbar unauflösbare Dilemma zwischen ökologischem Anspruch und sozialer Realität ist aber durchaus auflösbar.

Verantwortlich für die Abgassituation in den Innenstädten sind Bundesregierung und Automobilhersteller. Die Hersteller tricksten über Jahre und die Bundesregierung verweigerte dem Kraftfahrtbundesamt die Mittel, um eigene Tests mit eigener Technik durchführen zu können. Stattdessen bestimmten die Automobilhersteller die Testverfahren selbst und die Bundesregierung half bei der Einführung der gewünschten Prüfstandards, was den Betrug erst in diesem Umfang ermöglichte. Die Verursacher stehen in der Pflicht, nicht die Opfer.

Erforderlich wäre, ein unabhängiges staatliches Messwesen und reale Abgastests verpflichtend einzuführen. Damit würde zukünftig die Einhaltung der Normen gesichert und das Ausmaß der betrugsverursachten Feinstaub- und Stickoxidbelastungen würde bekannt. Dabei würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch festgestellt werden, dass ein großer Teil der PKW-Flotte, die auf dem Papier die Euro-6-Norm erfüllen sollte, nicht einmal die Euro-5-Vorgaben erfüllt.

DIE LINKE fordert: Wer es verbockt hat, muss Ausgleich schaffen. Und da gäbe es viele Ansätze. Solange die Dieselmotoren nicht den Angaben der jeweiligen Norm auch im Realbetrieb entsprechen, müssten Automobilbauer beispielsweise zur Herstellung und zum Unterhalt von zusätzlichen städtischen Grünanlagen herangezogen werden. Das schafft ökologischen Ausgleich dort, wo die Feinstaubbelastungen am höchsten sind, kommt den Betroffenen vor Ort direkt zu Gute und entlastet nebenbei kommunale Kassen. Um Stickoxide zu verringern, könnten Autohersteller die Elektrifizierung von Bahnstrecken bezahlen, beispielsweise unsere Mitte-Deutschland-Verbindung von Weimar über Jena, Gera nach Gößnitz und sich an der Finanzierung eines Ammoniak-Filter-Programms für landwirtschaftliche Betriebe beteiligen. Diese Beteiligung müsste erfolgen, bis der letzte Diesel-Alt-PKW umgerüstet oder stillgelegt wurde und die durch den Betrug freigesetzten zusätzlichen Stickoxide kompensiert wurden.

Die Bundesregierung sollte aus Sicht der LINKEN als Entschädigung für Ihr Versagen, zusätzliche Gelder für mehr regionalen Zugverkehr und für mehr Fernverkehr (z.B. IC zwischen Nürnberg, Saalfeld, Jena und Leipzig) bereitstellen, denn durch Verkehrsverlagerung auf die Schiene verringert sich der Stickoxid- und Feinstaubausstoß.

Es gibt also kein Dilemma zwischen sozial und gesund, wenn die Verursacher entsprechend herangezogen werden. Die LINKE hat den sozial-ökologischen Anspruch, die Umwelt zu verbessern und Mobilität zu sichern. Es ist übrigens gut vorstellbar, dass derartige Zwangsmaßnahmen die Entwicklung technischer Nachrüstung für alte Diesel-PKW deutlich beschleunigen würde.