Ökologisch, sozial und unbürokratisch

Dr. Ulrich Schachtschneider

Der notwendige, gewaltige Innovations- und Investitionsschub bei Energietechnologien, Sanierung und Infrastruktur wird jedoch nicht zum Nulltarif zu haben sein. Nach dem Konzept des Green New Deal aber werden – so die Hoffnung – soziale Probleme durch Arbeitsplatzzugewinne bei diesem Umbau keine wesentliche Rolle spielen, allenfalls vereinzelte Härten wären auszugleichen. Zu dieser Einschätzung lassen sich eine Reihe von Zweifeln anbringen, die in diesem Beitrag jedoch nicht weiter diskutiert werden sollen.


Die ökologisch richtige Förderung der Investition in erneuerbare Energien durch das EEG etwa wurde von allen Stromverbrauchern (ob arm oder reich) zu gleichen Anteilen bezahlt. Der Aufschlag auf den Strompreis betrug 2011 bereits 3,5 Ct/kWh und trifft Arme überproportional. Von den Gewinnen aus dem Betrieb der Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung, die mit der EEG-Umlage möglich werden, haben sie in der Regel nichts. Diese soziale Schieflage droht mit einer verstärkten Förderung erst richtig zu Tage treten. Ähnliches gilt für die energetische Gebäudesanierung, die bei gegenwärtigem Energiepreisniveau keineswegs warmmietenneutral ist und die Mieten in die Höhe zu treiben droht.

Nachteile von Sozialtarifen
Für die LINKE existenziell ist eine Verknüpfung von Energie- und Umweltpolitik mit ihrem Kompetenzkern soziale Gerechtigkeit. Als Alternative zur drohenden Verschärfung sozialer Ungleichheit fordert sie häufig Sozialtarife. Wessen Einkommen unterhalb einer Grenze liegt, der bekommt eine Basismenge Strom oder Wärme entweder kostenlos oder zu einem günstigeren Preis. Einige Energieversorger bieten dies heute schon exemplarisch für eine begrenzte Anzahl von Kunden an, die Sozialhilfe beziehen.
Mit dem Prinzip verbilligter Tarife für Menschen mit geringen Einkommen verbinden sich jedoch einige Probleme: Da ist zunächst die Frage der Finanzierung. Bisher werden Sozialtarife in geringem Umfang angeboten. Wenn dieses Prinzip flächendeckend eingeführt werden soll, muss geklärt werden, wer zahlt: Die anderen Verbraucher, die verschuldeten Kommunen, die Wohlhabenden über Steuererhöhungen? Hierauf hat die LINKE durchaus eine plausible Antwort. Für gravierender halte ich aber die folgenden Einwände. Sozialtarife ziehen zweitens einen hohen administrativen Aufwand für die Kommune, für die Berechtigten und für die Anbieter der Energie-Dienstleistung nach sich. Es müssen Einkommensnachweise erbracht, geprüft werden etc. Drittens bedeutet die Beantragung eines Armen-Tarifs eine soziale Stigmatisierung. Das führt dazu, dass viele ihr Recht aus Scham nicht annehmen. Viertens gibt es ein Abgrenzungsproblem, welches ein Gerechtigkeitsproblem darstellt. Unterhalb der Einkommensgrenze gibt es eine Berechtigung für den Vorteilspreis oder die kostenlose Lieferung. Wer nur einen Euro mehr verdient, bekommt den Vorteil nicht mehr.

Der Öko-Bonus
All diese Nachteile lassen sich durch das Prinzip der Energiegrundsicherung für alle vermeiden. So funktioniert das Prinzip, hier dargestellt am Beispiel Strom: Jeder Bürger eines Versorgungsgebietes (z.B. einer Stadt) erhält ein Basis-Kontingent Strom kostenlos, zum Beispiel 300 kWh/Jahr im Wert von 75¤ (bei 25Ct/kWh). Finanziert wird diese Stromgrundsicherung für alle über die ökologisch sinnvolle Erhöhung des Strompreises, Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 1000 kWh/Person sind dies ca. 4 Ct/kWh. Das Prinzip stellt schlicht eine Rückausschüttung von Öko-Steuern an jeden Bürger dar, es wird daher auch als Öko-Bonus bezeichnet.
Unterdurchschnittliche Verbraucher gewinnen im Saldo dazu, dies sind in der Regel Menschen mit geringerem Einkommen. Allerdings schlagen sich nun für jeden (Arm und Reich) Energiesparbemühungen stärker nieder: Jeder kann seine Energiekosten stärker beeinflussen als vorher. Das Grundprinzip lautet also: Mehr ökologische Lenkung durch Besteuerung der Energienutzung bei Sicherstellung eines kostenlosen Basisverbrauchs. Das Prinzip kann ebenso auf Gewerbe angewendet werden. Die Ausschüttung würde dann in Abhängigkeit von der Zahl der Arbeitsplätze geschehen.
Eine Untersuchung des Wuppertal-Instituts für Klima,Energie und Umwelt über die mögliche Auswirkung dieses Prinzips auf Bezieher von ALG II ergab, dass 80% sich besser stellen würden, da sie pro Kopf unterdurchschnittlich Strom konsumieren. Die restlichen 20% hatten einen überdurchschnittlichen Stromverbrauch durch Warmwasserbereitung mit Strom. Für die Umstellung dieser energieverschwendenden Technik müsste es zusätzlich eine gezielte Subvention geben. Auch dies könnte ebenso wie die Basis-Freimenge von dem Aufschlag auf den Strompreis bezahlt werden. Die Aufteilung der Einnahmen in Basisfreimenge und gezielte Subventionen bleibt letztlich der konkreten Ausgestaltung überlassen. Der Schwerpunkt sollte allerdings auf der Basisfreimenge liegen.

Funktionierendes Modell
Durchgeführt wird das Prinzip Basisfreimenge bereits im Kanton Basel (Schweiz), wenn auch auf relativ niedrigem Niveau. Dort erhält jeder Bürger etwa 50 Franken (35 ¤) im Jahr ausgezahlt bzw. angerechnet, die mit einer „Lenkungsabgabe Elektrizität“ eingenommen werden. Vorgeschlagen werden solche Basis-Progressiv-Tarife auch von der Verbraucherzentrale NRW.
Natürlich gibt es auch einige offene Fragen bei der Umsetzung. Wird ein solcher Basis-Progressiv-Tarif von einem Versorger eingeführt, droht die Abwanderung der Vielverbraucher und die Finanzierung der Basisfreimenge ist in Gefahr. Ein Ausweg wäre, gleichzeitig den alten linearen Tarif ohne Basisfreimenge anzubieten und sich die Mindereinnahmen beim Basis-Progressiv-Tarif von den Kommunen erstatten zu lassen. Aber selbst bei entsprechendem politischen Willen ist dies angesichts der schlechten Kommunalfinanzen kaum zu erwarten. Besser sind bundesweite Lösungen. Es können zum einen die erhöhten Einnahmen aus der Versteigerung von CO2-Lizenzen aus dem EU-Emissionshandel ab 2013 hier sachgerecht für dieses sozial-ökologische Steuerungsmodell verwendet werden. Möglich nach Energiewirtschaftsrecht ist aber auch, einen Basis-Progressiv-Tarif schlicht für alle Energieanbieter vorzuschreiben. Nach §40 EnWG ist sogar explizit die Schaffung von Anreizen zur Einsparung durch die Tarifstruktur vorgesehen.
Nicht ganz einfach ist sicherlich auch die Bestimmung der Personenzahl, die für die Umverteilungswirkung elementar ist. Ein Energieversorger hat hier zu Recht keinen Zugriff auf die Daten. Die Pro-Kopf-Ausschüttung könnte aber über die Kommune anhand der Meldedaten erfolgen. So wird es in Basel gehandhabt. Sicher gäbe es hier noch einige Fragen zu klären. Die Juristen haben aber bisher immer eine Lösung gefunden, wenn der politische Wille vorhanden ist.
Die Idee stellt eine Kombination aus ökologischer Steuerung über einen grünen Markt, sozialer Umverteilung durch die Regulierung durch den Staat und einer Erhöhung individueller Freiheit durch den kostenlosen Zugang zum Gemeingut Energie dar. Das wäre eine “Neue soziale Idee“. Sie könnte einem Green New Deal, der an der Reichtumsverteilung nichts Wesentliches ändert, Konkurrenz machen und ihn in die richtige Richtung drängen.

Dipl.-Ingenieur Dr. rer.pol. Ulrich Schachtschneider ist Energieberater, Sozialwissenschaftler und freier Autor aus Oldenburg.