Kuhhandel bei der Bildung zu Lasten unserer Kinder

Ralph Lenkert

Rede im Bundestag am 28.06.2012 zu TOP 3.a)

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz)
> Drucksache 17/9917 <

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Als Sprecher des Volksbegehrens für eine bessere Familienpolitik bin ich 2005 politisch aktiv geworden. Wir setzten uns in Thüringen für sichere und bessere Kitaplätze ein.

Schon damals wollte uns die Union nicht glauben, dass frühkindliche Bildung die beste Investition in die Zukunft ist.

Ich zitiere den Nobelpreisträger für Ökonomie James J. Heckman:
Eine geradezu traumhafte Rendite erwirtschaftet langfristig jeder Euro, der in die frühe Förderung von Kindern - also noch vor der Schulzeit - investiert wird.

Heckman wies nach: weniger Schulabbrecher, weniger Teenagerschwangerschaften, weniger Kriminalität. Und stattdessen: höhere Bildungsabschlüsse, mehr Produktivität und bessere Gesundheit. Das seien laut Heckman die messbaren Erfolge einer verantwortungsvollen Bildungspolitik; denn diese müsse sich darauf konzentrieren, Benachteiligungen schon in Krippe und Kindergarten auszugleichen. Die herrschende Politik habe dies offenbar noch nicht begriffen, stellte Heckman am 13. März 2008 in Leipzig fest.

Eine Studie des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit vom März dieses Jahres, in Auftrag gegeben von der Thüringer SPD, belegt, dass aufgrund der Einführung des Thüringer Landeserziehungsgeldes gerade Kinder aus benachteiligten Familien wegen des Betreuungsgeldes zu Hause bleiben.

Nun ist es an der Zeit, einmal die wahren Gründe für die Bockbeinigkeit der Union beim Betreuungsgeld zu betrachten. Ich bin überzeugt, dass die Union und die Familienministerin es nicht schaffen, bis 2013 den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz umzusetzen. Ihre Rechnung ist: Jede Familie, die sich für das Betreuungsgeld entscheidet, verkleinert die Lücke der fehlenden Plätze. Das ist der erste wahre Grund für das Betreuungsgeld.

Das Betreuungsgeld beträgt 150 Euro im Monat. Ein Kitaplatz für ein- bis dreijährige Kinder kostet in Thüringen etwa 800 Euro. Nehmen wir für die Bundesrepublik die Zahlen aus Thüringen als Grundlage: Abzüglich der Kitagebühren sparen Länder und Kommunen je Monat etwa 500 Euro für jedes Kind, das zu Hause bleibt. Laut Gesetzentwurf sind für 2014  1,1 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld eingeplant. Damit würden 610 000 Kinder zu Hause bleiben. Jeden Monat 500 Euro für 610 000 Kinder, die keinen Kitaplatz nutzen - das erspart den öffentlichen Haushalten 3,7 Milliarden Euro Kosten im Jahr. Das ist der zweite Grund für das Betreuungsgeld.

In Thüringen besuchen dank des erkämpften Rechtsanspruches auf einen Kitaplatz ab dem ersten Geburtstag mehr als 60 Prozent der Kinder zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr eine Kita. Frau Schröder will aber nur für 35 Prozent dieser Kinder Kitaplätze schaffen.

Ich glaube, die Eltern denken bundesweit wie die in Thüringen und wollen mehr Kitaplätze. Davor haben Sie Angst, und deshalb glauben Sie, mit den Silberlingen des Betreuungsgeldes diese Herausforderung wegzubekommen. Das ist der dritte Grund für das Betreuungsgeld.

Paradox wird es ab 2014. Sie haben dann 1,1 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld vorgesehen. Damit würden 50 Prozent der Kinder zwischen ein und drei Jahren zu Hause bleiben. 35 Prozent hätten nach Ihrem Plan einen Kitaplatz. Was ist mit den anderen Kindern? Wollen Sie Plätze zweimal vergeben, einmal von 8 bis 12 und einmal von 14 bis 18 Uhr? Dann gibt es doppelt so viele betreute Kinder, und Sie könnten für einen Kitaplatz zweimal Betreuungsgeld weglassen. Das schlägt dem Fass den Boden aus.

Liebe Koalitionäre, verzichten Sie auf das Betreuungsgeld. Verbessern Sie dafür, wie die Linke es fordert, die frühkindliche Bildung.

Frau Ministerin, Sie kennen sicher viele Zitate. Ich empfehle Ihnen eines von Mark Twain: Wenn der letzte Dollar weg ist, ist Bildung das Einzige, was übrig bleibt.

 Deshalb: Vergessen Sie das Betreuungsgeld. Stimmen Sie mit uns für die beste frühkindliche Bildung - für alle Kinder - und für Kindertagesstätten.

Vielen Dank.