EU Schuldenunion

Ralph Lenkert

Die Europäische Union hat einen Rettungsschirm für Griechenland aufgespannt, die Griechen sparen, wo es nur geht, sie haben die Ausgaben gekürzt und damit schrumpft die griechische Binnenwirtschaft. Jetzt brechen die Steuereinnahmen in Griechenland schneller zusammen, als die Ausgaben sinken und der Schuldenberg wächst weiter. Nach diesem Prin-zip werden immer mehr Länder in den Schuldenstrudel gezogen – Portugal, Spanien, Italien … irgendetwas läuft schief. Sehr schief.

Wo kommen die Schulden her?
Deutschland exportiert weit mehr, als es importiert. 60 Prozent der deutschen Exporte gehen in EU-Länder. Wenn es keine entsprechenden Importe gibt, werden sie unter anderem mit Krediten bezahlt. Durch den Exportüberschuss entsteht insbesondere in Deutschland bei Unternehmen und Banken ein Überschuss an verfügbarem Geld. In Maschinen und Anlagen wird nur dann investiert, wenn eine Ausweitung der Produktion höhere Gewinne verspricht. Das ist derzeit nicht der Fall, es geht stattdessen die Angst vor einer neuen Krise um.
Das überschüssige Kapital wird deshalb dort eingesetzt, wo es maximalen Gewinn erzielt: in Spekulationen. Hedgefonds, undurchsichtige Finanz“produkte“ wie Derivate, Leerverkäufe oder Credit Swaps und nicht zuletzt Staatsanleihen sind derzeit viel attraktiver als Werkzeugmaschinen und Reinräume. Dabei ist die Spekulation gegen ganze Länder besonders lukrativ, da ein Zahlungsausfall nicht zu befürchten ist: Ist der Staat bankrott, springt die EU ein. Die Gewinne werden durch die Steuern von Otto Normalverbraucher und Erika Mustermann finanziert.

Sparen, bis es quietscht?
Fast jeder verlangt von den hochverschuldeten Euro-Ländern einschneidende Sparmaßnahmen. Aber senken sie jetzt massiv ihre Ausgaben, um die Kredite zurückzahlen zu können, haben sie kein Geld mehr für Investitionen. Das heißt nicht selten: kein Geld für deutsche Investitionsgüter. Der Sparzwang schlägt damit direkt auf die deutsche Wirtschaft zurück – eine neue Krise ist fast unvermeidlich.
Dadurch sinken auch die deutschen Steuereinnahmen, während Arbeitslosigkeit und Sozialausgaben steigen; das Defizit des Bundeshaushaltes wächst erneut. Die Reaktion wird die übliche sein: Sparen. Kürzen der Sozialleistungen. Das verringert automatisch die ohnehin schwache Binnennachfrage, weil vor allem denjenigen Geld fehlt, die es unmittelbar ausge-ben (müssen). Die Wirtschaft wird weiter schrumpfen.
Auch die USA, Japan und viele Länder der Dritten Welt sind hoch verschuldet und werden irgendwann sparen müssen. Für die deutsche und europäische Wirtschaft fallen sie dann als Kunden weg. Die Rettung der überschuldeten Euroländer durch noch mehr Steuergeld wird diesen Mechanismus verzögern, nicht ausschalten. Und obendrein bietet sie Anlass zu neuen Spekulationen. Die Lage verschärft sich.

Wer verdient an den explodierenden Schulden?

Dem Geld, das Griechenland, Irland oder Portugal fehlt, stehen Verbindlichkeiten und ganz konkrete Gewinnerwartungen gegenüber. Und auch die deutsche Staatsverschuldung ist durch die Zinszahlung eine Gewinnmaschine.
Die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik liegt bei etwa 2 Billionen Euro. Statistisch        hat damit jeder Bürger 25000 Euro Schulden. Dem stehen aber 3 – 4 Billionen Euro an privatem Geldvermögen gegenüber – Anleihen, Kontobestände, Schatzbriefe … Ein Viertel davon gehört dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung – fast soviel wie die Staatsverschuldung. Die unteren 60 % der Bevölkerung haben dagegen überhaupt kein Vermögen, das weiter als bis zum Monatsende reicht.
Hinzu kommt, dass die Reichen vom Steuersystem begünstigt werden. Das reichste Zehntel verfügt über 60 % des Barvermögens, trägt aber nur 50 % zum Steueraufkommen bei. Die privaten Geldvermögen sind in den letzten 20 Jahren im gleichen Maße gewachsen wie die Staatsverschuldung. Steuererleichterungen brachten zwar keine neuen Arbeitsplätze, dafür aber höhere Gewinne.
Innerhalb der EU halten sich Geldvermögen und Gesamtverschuldung mit etwa 10 Billionen Euro übrigens die Waage – die Schulden der Staaten sind die Besitztümer der Reichen.

Was tun gegen die Schuldenspirale?
Einem Großteil des Geldvermögens steht keinerlei realer Wert gegenüber. Mit diesem Geld kann man weder Brot noch Maschinen, sondern nur anderes Geld kaufen. Dadurch entstehen immer wieder Spekulationsblasen, die beim Platzen auch die reale Warenwirtschaft schädigen. Das Problem ist die Spekulation.
Deshalb müssen Bundestag und/oder EU Spekulationsgeschäfte strenger regulieren. Das Verbot von Leerverkäufen (bei denen Dinge verkauft werden, die man gar nicht besitzt) ist ein erster Anfang. Eine Finanztransaktionssteuerwürde Spekulationen unattraktiver machen und gleichzeitig Geld in die Staatskassen bringen. Es wird behauptet, dass dann entsprechende Geschäfte ins Ausland abwandern würden. Ein Verlust für die deutsche Wirtschaft wäre das nicht unbedingt. Zum einen könnten eventuelle Verluste nicht mehr mit Gewinnen in Deutschland verrechnet und damit die Steuerschuld reduziert werden, zum anderen müsste die Bundesrepublik nicht für Verluste der Banken im Ausland haften.
Die europäischen Hilfen müssen deshalb vor allem an ein jeweiliges Verbot von Spekulationsgeschäften für nationale Banken und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gebunden werden. Auch Termingeschäfte mit Rohstoffen und Lebensmitteln müssen verboten werden.

Mehr Geld ist vorhanden.
Die Reichen müssen an der Finanzierung des Staates angemessen beteiligt werden. Die Erfahrung der letzten zehn Jahre lehrt, dass Steuersenkungen für Spitzenverdiener mitnichten zu mehr Arbeitsplätzen führen, sondern zu mehr Spekulation. Deshalb muss der Spitzensteuersatz auf 50 % erhöht werden, die Körperschaftsteuer von 15 % auf 25 %. Kapitalerträge oberhalb der Freibeträge sollen statt mit der Abgeltungssteuer von 25 % wie normales Einkommen versteuert werden.
Durch höhere Löhne und Gehälter müssen die Beschäftigten stärker an den wachsenden Gewinnen der Unternehmen beteiligt werden, ganz besonders im Niedriglohnland Thüringen. Mindestlöhne etwa würden direkt den privaten Konsum ankurbeln, die Binnennachfrage erhöhen – und das Geld den Spekulationsgeschäften entziehen. Außerdem würden die Sozialsysteme durch höhere Beiträge und geringere Ausgaben entlastet.
Eine EU-weite Mindestbesteuerung von Gewinnen und Einkommen ist dringend notwendig, um Steuerflucht zu erschweren. Wer nicht die in der EU üblichen Steuersätze bezahlt, sollte aus meiner Sicht keine EU-Staatsbürgerschaft behalten dürfen.
Selbst Reiche fordern inzwischen dazu auf, sie stärker zu besteuern, weil sie Angst um den sozialen Frieden im Land haben. Wie man bei den Krawallen in London sehen konnte, ist diese Sorge nicht unbegründet. Eine Vermögensabgabe von 5 % auf alle Vermögen über 1 Mio. Euro (außer Betriebsvermögen) ist notwendig, um die Ungerechtigkeit der bisherigen Besteuerung auszugleichen. „Eigentum verpflichtet“, sagt das Grundgesetz, aber die Reichen haben sich aus der Finanzierung des Gemeinwesens immer mehr zurückgezogen.

Durch höhere Besteuerung großer Vermögen und strenge Regulierung der Finanzmärkte könnte der finanzielle Kollaps abgewendet werden. Mit den Mehreinnahmen könnten nicht nur Schulden abgebaut werden, es wäre sogar noch Geld für Bildungs- und Konjunktur-programme übrig.
Leider versäumt es die Bundesregierung, die Ursachen der Finanzkrise zu bekämpfen. Statt die Banken strenger zu kontrollieren, sollen durch den Stabilitätsmechanismus die nationalen Parlamente das Recht verlieren, den eigenen Haushalt zu beschließen. Das nächste Konjunkturprogramm könnte damit unmöglich werden. Das ist ein Angriff auf die Demokratie. Ich werde diese Pläne deshalb ablehnen. Auch die Haftung aller Bürger für die Staatsschulden lehne ich ab.
Es gibt Alternativen zur jetzigen Politik – also kämpfen wir dafür, ich in Berlin und Sie mit der Weiterverbreitung dieses Rundbriefes.

Ihr Ralph Lenkert