Stellungnahmen zum Szenariorahmen Netzentwicklungsplan 2021-2035

Der Szenariorahmen zum Netzentwicklungsplan 2021-2035 ist nicht geeignet, ein sicheres Stromsystem im Jahr 2040 darzustellen, das mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar ist. Die hier umrissenen energiewirtschaftlichen Gegebenheiten im Jahr 2040 sind daher unvollständig oder falsch. Das hier skizzierte System kann im Jahr 2040 in Extremwetterlagen (Dunkelflaute) die Spitzenlast in weiten Teilen Europas nicht decken und ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt, bzw. nimmt fahrlässig lang andauernde Systemunterbrechungen in kalten Zeiten in Kauf. Der Betrachtungshorizont bis 2035 bzw. 2040 ist inzwischen ein Blick in ein Stromsystem, dass sich in einer Phase des massiven Umbruchs befinden muss. Während einerseits konventionelle Stromerzeuger massiv vom System genommen werden, müssen gleichzeitig massiv Investitionen in die Flexibilität des Systems erfolgen. Es ist daher nicht länger sinnvoll, Netzausbau für ein System zu berechnen, das sich im Umbruch befindet. Das Zielsystem muss der ausschlaggebende Horizont werden, um Fehlinvestitionen zu vermeiden.

Netzentwicklungsplan Strom
Szenariorahmen 2021-2035
1. Entwurf
Konsultation

Stellungnahme

 

Vorbemerkung:

Der Szenariorahmen ist in dieser Form nicht geeignet, ein sicheres Stromsystem im Jahr 2040 darzustellen, das mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar ist. Die hier umrissenen energiewirtschaftlichen Gegebenheiten im Jahr 2040 sind daher unvollständig oder falsch.

Das hier skizzierte System kann im Jahr 2040 in Extremwetterlagen (Dunkelflaute) die Spitzenlast in weiten Teilen Europas nicht decken und ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt, bzw. nimmt fahrlässig lang andauernde Systemunterbrechungen in kalten Zeiten in Kauf.

Der Betrachtungshorizont bis 2035 bzw. 2040 ist inzwischen ein Blick in ein Stromsystem, dass sich in einer Phase des massiven Umbruchs befinden muss. Während einerseits konventionelle Stromerzeuger massiv vom System genommen werden, müssen gleichzeitig massiv Investitionen in die Flexibilität des Systems erfolgen. Es ist daher nicht länger sinnvoll, Netzausbau für ein System zu berechnen, das sich im Umbruch befindet. Das Zielsystem muss der ausschlaggebende Horizont werden, um Fehlinvestitionen zu vermeiden.

 

1. Nichteinhaltung des Pariser Klimaabkommens

Das Pariser Übereinkommen zum Schutz des globalen Klimas vor einer Erwärmung über 1,5°C hinaus legt unmissverständlich klar, dass bilanziell Treibhausemissionspfade bis 2050 nicht nur vollständig auf Null gefahren sein müssen, sondern darüber hinaus der Atmosphäre sogar aktiv CO2 entzogen werden muss. Gibt es keine aktive Reduktion des CO2 in der Atmosphäre, muss die Energiewende bereits 2040 vollendet sein. Dementsprechend deckt der Klimaschutzplan der Bundesregierung bislang die Ziele des Übereinkommens nicht ab. Das Szenario B 2040 nimmt diesen Zeitpunkt bereits in den Blick, da wir hier unter der Annahme von nichtstattfindender CO2-Entnahme bereits ein Zielszenario vor Augen haben müssten. Das beschriebene Szenario B 2040 scheitert an den Zielen des Abkommens. Der Szenariorahmen orientiert sich aber an der bestehenden Gesetzeslage, nimmt dabei jedoch keinen Bezug auf höchstwahrscheinlich nach internationalen Verträgen notwendige Nachsteuerungen der deutschen und europäischen Klimapolitik.

Ich rege daher an, dass ein Einzelszenario „1,5 Grad“ der deutschen Netzplanung hinzugefügt wird, das die wahrscheinliche Entwicklung der Energiewirtschaft Europas und Deutschlands abbildet unter der Prämisse, dass sich die Staatengemeinschaft rigoros für das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens verständigt und eine Vollendung der Energiewende (komplette Dekarbonisierung) bis 2040 bzw. 2050 unterstellt.

 

2. Zieljahr 2050 endlich in den Blick nehmen

Die Netzausbauplanung orientiert sich seit Jahren an Zwischenschritten der Energiewende. Es ist bekannt, dass bei Erreichen bestimmter Anteile Erneuerbarer Energien im Stromsektor neue Infrastrukturen in groß angelegte Speicheroptionen realisiert sein müssen. Solange nicht das Zielsystem im Jahr 2050 (oder 2040, siehe 1.) in den Blick genommen wird, besteht keine Möglichkeit nachzuvollziehen, welche Rolle Stromnetze in diesem Zielsystem spielen müssen. Es besteht daher unmittelbar die Gefahr, dass der gegenwärtig forcierte Netzausbau mit dem Zielsystem nicht kompatibel ist bzw. er einen erheblichen Investitionsaufwand nach sich zieht, der die Unzulänglichkeit des heute geplanten Systems ausgleichen muss. Es ist nicht nachvollziehbar, ob für das Zielsystem 2050 (2040) Netzausbau nach derzeitiger Planungspraxis noch nötig ist, dabei eventuell ganz andere, viel nötigere Leitungserweiterungen auf Verteil- und Regionalnetzebene aus dem Fokus geraten und wir vor einer gigantischen Welle von Fehlinvestitionen stehen.

Die Energiewende soll je nach politischen Akteuren zentral oder dezentral, mit erheblichen oder weniger Leistung an Elektrolyseuren oder unterschiedlichen Speicheroptionen umgesetzt werden. Die gegenwärtige Netzplanung ignoriert diese Ansätze weiterhin und gibt keinen Aufschluss darüber, welche Optionen volkswirtschaftlich und technologisch am sinnvollsten sind.

Ich rege daher an, per Szenariorahmen das Zielsystem des deutschen und des europäischen Energiemarktes zu beschreiben und einerseits der Öffentlichkeit zur Diskussion und Validierung zu stellen und andererseits dies als vollwertiges Szenario dem Netzentwicklungsplan hinzuzufügen. Denn jede langfristig angelegte Investition in das Stromsystem muss auch langfristig wirksam sein.

 

3. Systemversagen bei einer vierwöchigen Dunkelflaute, fehlende Annahmen zur Spitzenlast und deren Deckung, fehlende Angaben zu Speichern

Der Szenariorahmen mit Blick auf das Jahr 2040 lässt offen, wie in einem Stromsystem, das sich 10 Jahre vor dem Zielsystem befindet, Perioden mit wenig Sonneneinstrahlung und fehlendem Wind (Dunkelflaute), die über mehrere Wochen andauert, sicher überbrücken will. Den Netzbetreibern, die diese Szenarien entwickeln, muss auffallen, dass selbst bei optimistischer Abschätzung von Stromimporten aus dem EU-Ausland das komplette System am Rande des Zusammenbruchs stehen muss, wenn dieser Fall eintritt.

Was der Szenariorahmen für 2040 beschreibt, ist ein Stromsystem, das während einer vierwöchigen Dunkelflaute (keine PV-Einspeisung, <10% Windeinspeisung) seinen Strombedarf zum größten Teil aus fossilen Energiequellen bereitstellen muss, hierfür etwa 50 Gigawatt konventioneller Erzeugungsleistung bereitstellt, Flexibilität im Last-Tagesgang hat (wobei jedoch keinerlei Aussagen über deren Kapazitäten gemacht wird) und darüber hinaus über ein geringes Potential an gesicherter EE-Leistung verfügt (ca. 20 GW (dabei Wind: 10% offshore, 5% onshore)).

a) Deckung der Spitzenlast

Zur Deckung der Spitzenlast müssen nachfolgend sämtliche Speicher- und Flexibilisierungsoptionen herangezogen werden (inklusive umgekehrt genutzter PV-Speicher, Lastverschiebungen), die das beschriebene System B 2040 in petto hat, wobei sie tags und nachts jeweils in unterschiedliche Richtungen arbeiten und ihr Potential vollständig ausgeschöpft werden muss. Dass die hier ganz entscheidende Größe der Spitzenlast im Kapitel 5.4.2. nicht weiter in die Betrachtung eingeführt wird, ist, anders als beschrieben, für die Frage der Netzdimensionierung sehr relevant, wenn man auf Stromimport setzt. Für das beschriebene Stromsystem ist diese Prognose ebenfalls essentiell und die Unterschlagung dieser Betrachtung ein fataler Fehler. Die Plausibilität des gesamten Szenariorahmens hängt hiervon ab. Ausgehend von der vagen Annahme, es mit einer Jahreshöchstlast von exakt 100 Gigawatt zu tun zu haben, ist dieses System im Lastbereich während der Dunkelflaute permanent ausgeschöpft. Es kommt zu gravierender Unterdeckung der Stromnachfrage und die Annahmen sind daher praktisch nicht konsistent. Das hier beschriebene Szenario ist nicht geeignet, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

b) Deckung der Stromnachfrage

Da die Stromnachfrage zum größten Teil nur aus fossilen Energieträgern gedeckt werden kann und eine Form von jahreszeitlicher Speicheroption fehlt, reicht die Annahme der installierten Erzeugung nicht aus. Ausgehend von 50 Gigawatt installierter fossiler Erzeugungsleistung (inkl. Klein-KWK), können in vier Wochen rein rechnerisch maximal nur 33,6 TWh Strommenge erzeugt werden, solange alle Anlagen permanent in Betrieb sind. Bei einem Bruttostrombedarf von 53,5 TWh für dieselbe Zeit (nicht eingerechnet die massiven Umwandlungsverluste, die durch permanentes Laden und Entladen sämtlicher Speicher entstehen), müssen 20 TWh Erneuerbar erzeugt oder/und importiert werden. Die angegebenen installierten Leistungen der verschiedenen EE-Anlagen rechtfertigen die Annahme der Deckung nicht, denn die fehlende Strommenge kann Erneuerbar nur erzeugt werden, wenn man davon ausgeht, dass sämtliche Windkraftanlagen während der Zeit der Dunkelflaute permanent mit einer mittleren Auslastung von 15 Prozent arbeiten. Es folgt hieraus, dass das beschriebene System auf großangelegten Import von Strom während der Dunkelflaute setzt, der im EU-Binnenmarkt aber nicht zu beschaffen sein wird, wenn die Staaten halb Zentraleuropas es gleichzeitig mit einer Unterdeckung zu tun haben. Das beschriebene System kann während einer mehrwöchigen Dunkelflaute die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten.

c) Kapazität der Speicher

Die im Szenario angegebenen Flexibilitätsoptionen erlauben keine Rückschlüsse darüber, welche Strommengen jeweils mit den angegebenen Leistungen verbunden werden. So ist es unmöglich, Einschätzungen darüber anzustellen, wie lange eine Option zur Verfügung stehen kann bzw. mit welcher Last eine Option wieder verfügbar gemacht werden kann. Diese Zahlen sind allenfalls für Pumpspeicher bekannt, da diese bereits existieren. Für die Probleme, die im Zusammenhang mit mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Dunkelflaute-Ereignissen stehen, ist die Kenntnis hierüber wesentlich.

Das hier vorgestellte Szenario ist im Falle einer Dunkelflaute also a) nicht geeignet, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten; b) setzt auf erheblichen Import von Strom, ohne zu erklären, woher dieser kommen soll und c) unvollständig beschrieben.

Für ein Szenario, das nicht geeignet ist, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist es sinnlos, einen Netzausbaubedarf zu ermitteln.

Ich fordere die Netzbetreiber daher auf, den vorliegenden Szenariorahmen zurückzuziehen und einen neuen vorzulegen, der den Anforderungen an die Versorgungssicherheit durch vernünftige Annahmen bei der Stromerzeugung gerecht wird und aufzeigt, welche Langzeitspeicheroptionen für die Systemsicherheit notwendig werden.

 

4. Volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung in den Blick nehmen

Der Szenariorahmen geht davon aus, dass die Energiewende unter den gegebenen europäischen Marktbedingungen an den Pariser Klimazielen vorbei zu langsam umgesetzt wird. Da das beschriebene Stromsystem bereits im Jahr 2040 unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht mehr versorgungssicher ist, wird klar, dass es zusätzlich oder alternativ zu den bereits gemachten Annahmen große Investitionen in Speicherinfrastrukturen und andere Flexibilitätsoptionen geben muss. Die Netzentwicklungspläne ziehen sich regelmäßig auf den Standpunkt zurück, Szenarien lediglich innerhalb vorgegebener politischer und gesetzlicher Rahmen zu entwickeln, da sie auch nur dazu energiewirtschaftlich verpflichtet sind. Beschreibt man jedoch Szenarien, die nach politischen Vorgaben offenkundig nicht schlüssig sind, wird klar, dass dieser Ansatz gescheitert ist.

Die Strom- und Energieversorgung muss anhand sinnvoller technologischer und vor allem volkswirtschaftlicher Betrachtungen geplant und umgebaut werden. Der Szenariorahmen muss dies im Interesse der Bevölkerung endlich in den Blick nehmen.

Für die Einordnung des später modellierten und errechneten Netzausbaubedarfs muss dieser Szenariorahmen bereits Vorgaben darüber enthalten, welche volkswirtschaftlichen Parameter in die weitere Planung Einzug finden.

Ich schlage daher vor, dem Szenariorahmen folgende zusätzliche Parameter für Alternative Entwicklungen hinzuzufügen und im Netzentwicklungsplan entsprechende Abschätzungen anzustellen:

  1. Einbeziehung der Stromhändler an den Transportkosten (Nodal Pricing)
  2. Aufstellung von Umweltfolgekosten durch den Netzausbau
  3. Nachweis über volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit von Projekten aus dem TYNDP; und zwar nicht nur bezogen auf Einzelprojekte von Grenzkuppelstellen, sondern auf das Gesamtsystem, dass durch europäische Marktrahmen forciert wird
  4. Volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung des gegenwärtigen Stromhandelssystems; Vergleich der maximalen Öffnung des Europäischen Binnenmarktes mit einer Verkleinerung der Gebotszonen
  5. Status Quo des Europäischen Rahmens (Bestimmung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit von Netzausbau im ÜNB-Netz bei Festsetzen der Grenzkuppelkapazitäten auf heutigem Stand)

 

Fazit:

Der vorliegende Szenariorahmen dokumentiert das Versagen, das seinen gesetzlichen energiewirtschaftlichen und politischen Rahmen zu Grunde liegt. Die gegenwärtigen Weichenstellungen sind weder geeignet, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, noch ein versorgungssicheres Stromsystem im Jahr 2040 zu realisieren. Der Szenariorahmen ist daher nicht geeignet, als Grundlage für die weitere Netzausbauplanung zu fungieren.

Ich fordere eine rigorose Überarbeitung der Prämissen, die dem Szenariorahmen zu Grunde liegen und eine Öffnung der Betrachtung auf das Zieljahr 2050. Ein Szenariorahmen muss unbedingt die Ziele der internationalen Übereinkunft über das 1,5°C-Ziel widerspiegeln und darüber hinaus die Versorgungssicherheit in Zukunft im Blick haben.

 

Berlin, 14.02.2020
Ralph Lenkert, MdB