Rede im Bundestag: Befristete Verträge ruinieren die Qualität der Hochschulen

Ralph Lenkert
RedenBundestag

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! 

Eine Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist überfällig. Es reicht aber nicht, Frau Dinges-Dierig, nur die Schwächen zu benennen und alles andere schön zu beten. Sie müssen handeln. Mit dem Handeln ist das bei Ihnen aber so eine Sache: Sie kündigen an, und es passiert nichts.

Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit 19 ein Studium beginnen, nach Studienabschluss über vier Jahre in 20 Stunden Teilzeit mit Halbjahresverträgen bis zur Promotion angestellt werden, aber real über 40 Stunden im Labor schuften und abends zu Hause büffeln, um dann weitere sechs Jahre mit jahresbefristeten Teilzeitverträgen am wissenschaftlichen Fortschritt der Bundesrepublik teilzuhaben und sich anschließend mit Quartalsverträgen auf Drittmittelprojekten bis zur Rente hangeln zu müssen? Ausgebeutet und missbraucht würden Sie sich fühlen ‑ zu Recht. Deshalb ist es höchste Zeit, dieses Gesetz zu hinterfragen.

Mit flexibleren Forschungsmöglichkeiten und mehr Chancen für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begründete die letzte GroKo die Einführung dieses Gesetzes. Was hat es für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen gebracht? Nur noch einer von zehn Wissenschaftlern hat eine feste Stelle. 50 Prozent der Befristungen sind kürzer als ein Jahr. Kettenbefristungen sind die bittere Realität. Damit haben die Betroffenen oft mehr abgelaufene Arbeitsverträge als Lebensjahre. An den außeruniversitären Forschungs-einrichtungen ist die Situation nicht viel besser.

Und die Folgen? Es ist kein Wunder, dass Absolventen die erste Chance ergreifen,  in die Industrie oder ins Ausland zu wechseln. Mehr Geld, mehr Anerkennung und eine planbare Zukunft sind starke Argumente. Entscheiden sich Akademikerfamilien für die Wissenschaft, dann wird Familienplanung verdammt schwer, und der Kinderwunsch wird häufig zu lange aufgeschoben. Ignorieren Sie dies nicht länger! Sie beschädigen die Zukunft unserer Familien. Begreifen Sie endlich, dass Sie so auch die Qualität unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ruinieren!

Die ständigen Projektbefristungen bei Verwaltungsangestellten und technischem Personal sind für die Linke ebenfalls inakzeptabel. Unternehmen der freien Wirtschaft haben auch keine Auftragssicherheit über mehrere Jahre. Trotzdem arbeitet die Industrie mit wesentlich mehr Dauerverträgen. Warum? Weil es strengere Gesetze für Befristungen gibt. Ehrlich: Unsere Professoren sind doch nicht unfähiger als die Manager in der Industrie. Bringen wir Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit härteren Befristungsvorschriften zum Abschluss von Dauerverträgen! Alle Beschäftigten haben ein Recht auf eine planbare Zukunft.

Es sind erste gute Schritte, die unsere Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf vorschlagen: weniger Willkür bei Befristung durch die verpflichtende Einbeziehung der Tarifpartner und durch garantierte Qualifizierungszeiten bei wissenschaftlichen Befristungen. Das unterstützt die Linke.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Doktoranden und das gesamte Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben für DIE LINKE Anspruch, erstens, auf eine Mindestbefristungszeit der Verträge nach Dauer der Qualifizierungsphase, jedoch mindestens auf zwölf Monate, zweitens, bei Drittmittelprojekten auf eine Mindestbefristung nach Projektdauer und gesicherter Finanzierung, jedoch mindestens auf zwölf Monate, und, drittens, einen rechtssicheren Anspruch auf Verlängerung vereinbarter Befristungen um die Länge von Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten. Wir fordern, dass bei Drittmittelprojekten das nichtwissenschaftliche Personal unbefristete Arbeitsverträge erhält. Grundsätzlich wollen wir die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für Personal in Lehre und Forschung an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen für die Wiederbelebung des akademischen Mittelbaus. Es wird höchste Zeit, die Lehr-, Lern- und Forschungsbedingungen an öffentlichen Einrichtungen des Wissenschafts- und Forschungssystems zu verbessern. Machen Sie da mit! Verweigern Sie sich nicht, sonst gefährden Sie den Wissenschaftsstandort Deutschland.