Unverantwortliche Freigabe von tödlichen Giften

Ralph Lenkert
Ralph LenkertRedenBundestag

Rede zu Protokoll TOP 39 am 16. Mai 2013, Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (EU-Biozidverordnung), Drucksache 17/12955, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss), Drucksache 17/13400, Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung, Drucksache 17/13413

Frau Präsidentin / Herr Präsident,

Sehr geehrte Damen und Herren,

der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der EU- Biozid-Verordnung. Er enthält dementsprechend hauptsächlich Verwaltungsvorschriften und regelt unter anderem die Zuständigkeiten und Befugnisse der jeweiligen Behörden.

Inhaltlich ist an der längst in Kraft getretenen Biozid-Verordnung nicht mehr zu rütteln – sie gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dennoch muss der Entwurf eines reinen Durchführungsgesetzes, den wir hier heute debattieren, zum Anlass genommen werden, um den Umgang mit Bioziden noch einmal sehr genau unter die Lupe zu nehmen.

Biozide sind Wirkstoffe in Schädlingsbekämpfungsmitteln wie zum Beispiel Desinfektionsmittel, Rattengift oder Holzschutzmittel. Deren Einsatz ist häufig unvermeidbar. Dennoch muss der Einsatz von Bioziden mit größter Vorsicht erfolgen, da erhebliche Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit drohen. Rattengift, zum Beispiel, kann Menschen töten. Insektengifte können die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen und Männern schädigen und Anti-Pilzmittel können Erkrankungen der Atemwege oder gar Krebs auslösen. Das Bienensterben nimmt bedrohliche Ausmaße an, weil Pestizide, so nennt man Biozide in der Landwirtschaft, flächendeckend nach dem Motto „je mehr, desto besser“ eingesetzt wurden. Wer will sieht, es ist höchste Achtsamkeit im Umgang mit Bioziden geboten und deren Einsatz ist auf ein Minimum zu reduzieren.

Umso mehr verwundert der im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf ergangene Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen: Sie wollen die rechtlichen Vorgaben für die Schädlingsbekämpfung so gestalten, dass diese auch durch private Anwender nach wie vor uneingeschränkt flächendeckend eingesetzt werden können. Für den Einsatz von blutgerinnungshemmenden chemischen Nagetierbekämpfungsmitteln, sogenannten Rodentiziden, soll ein Sachkundenachweis genügen, den der Anwender in einer Online-Schulung, also per Internet erbringen können soll.

Meine Damen und Herren von der Koalition – ich nenne das grobe Fahrlässigkeit! Sie können doch nicht allen Ernstes erlauben, dass ein im Internet erbrachter Sachkundenachweis dazu befähigt, angemessen mit giftigen Chemikalien umzugehen, die auch vom Umweltbundesamt äußerst kritisch betrachtet werden, da sie zwar in der Schädlingsbekämpfung nützlich sind, für andere Tiere und die Umwelt insgesamt jedoch hohe Risiken bergen. Der Umgang mit solchen gefährlichen Stoffen sollte im Gegenteil nicht uneingeschränkt flächendeckend möglich sein, schon gar nicht per sogenanntem Online-Sachkundenachweis! Eine strenge Reglementierung der Zulassung von Bioziden und der Einsatz von gut geschultem Personal sind notwendig, um die teils erheblichen Gefahren für Mensch und Umwelt kontrollieren zu können. Diesen Entschließungsantrag lehnen wir ab.

Zurück zur Biozid-Verordnung: Nach wie vor gibt es hier einiges zu bemängeln. Nicht umsonst haben Umweltverbände die Biozid-Verordnung als vertane Chance bezeichnet. Es gibt zwar einige Verbesserungen hinsichtlich des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Nichtsdestotrotz klaffen auch noch etliche Regelungslücken, zum Beispiel hinsichtlich der Verwendungsphase von Bioziden oder im Bereich des Informationsaustausches.

Inhaltlich ändert der vorliegende Gesetzentwurf nichts an der Biozid-Verordnung. Bitte nehmen Sie ihn trotzdem zum Anlass, darüber nachzudenken, welchen Umgang wir mit Bioziden pflegen wollen. Wollen wir eine möglichst marktfreundliche Regelung, die den Einsatz von Bioziden in großem Umfang und flächendeckend erlaubt, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden bei Mensch und Natur, oder wollen wir vor allem unsere Gesundheit und unsere Umwelt vor hochgiftigen Chemikalien schützen? Für Letzteres streitet DIE LINKE.