Nachhaltigkeit in der Politik konsequent umsetzen

Ralph Lenkert

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute sprechen wir endlich über Nachhaltigkeit. Wir von der Linken tragen die Stellungnahme des Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Bericht zur Nachhaltigkeitsstrategie teilweise mit, aber wir stellen fest, dass die starke Ungleichheit von Arm und Reich zu Spannungen in der Gesellschaft führt. Das ist eine Gefahr für die Demokratie.
Das ist der Boden, auf dem religiöser und politischer Fanatismus entstehen. Extreme Armut, aber auch Chancenlosigkeit, fehlende Bildung und Ungerechtigkeiten führen über die Stationen „Resignation“ und „Frustration“ zu Wut und Hass. Nachhaltige Politik muss dies stoppen.
Einige Beispiele: Erstens zu den Universitäten. Bis zum Jahr 2000 stellten neben Professoren festangestellte Dozenten die Mehrzahl der Lehrkräfte an den Hochschulen. Der Beruf war für die besten Studienabsolventen attraktiv. Die Erfahrungen sagen: Mehr als vier bis fünf hochwertige Lehrveranstaltungen je Woche inklusive der notwendigen Vor- und Nachbereitungszeiten und der ausreichenden Betreuung der Studenten sind für Dozenten nicht machbar.
Wegen der Regierungspolitik, auch Ihrer Regierungspolitik, müssen Hochschulen sparen. Deshalb beschäftigen sie jetzt statt Dozenten Lehrbeauftragte. Die Arbeit ist die gleiche wie vorher, aber die Lehrbeauftragten erhalten je wöchentlicher Lehrveranstaltung nur circa 500 Euro pro Semester. Das macht bei vier bis fünf Lehrveranstaltungen fette 2 000 bis 2 500 Euro in sechs Monaten. Das ist untragbar.
Mit etwa 400 Euro im Monat müssen diese Ausbilder unserer akademischen Zukunft entweder mittels Hartz IV aufstocken, oder sie liegen ihren Verwandten und Partnern auf der Tasche, und das ist beschämend für unser Land.
Die meisten Lehrbeauftragten übernehmen diese Arbeit als Pausenfüller in ihrer beruflichen Entwicklung. Die Leidtragenden davon sind unsere Studenten als unsere Zukunft. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, erreichen wir garantiert keine nachhaltigen Studienbedingungen an den Hochschulen. Was wir brauchen, sind Mindeststandards in der Arbeitsgesetzgebung, geänderte Arbeitszeitgesetze und ein gesetzlicher Mindestlohn auch an den Hochschulen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schipanski?
Ralph Lenkert: Gern.
Tankred Schipanski (CDU/CSU):
Kollege Lenkert, ich wollte nur fragen, von welcher Studie Sie im Zusammenhang mit den Lehrbeauftragten sprechen. Im zuständigen Bildungsausschuss ist eine derartige Studie nicht bekannt. Auch in unser beider Heimatland, Thüringen, ist das nicht so. Ich komme von einer Universität. Was Sie da sagen, ist einfach nicht richtig.

Ralph Lenkert: Wenn Sie einmal rein zufällig die Statistiken gelesen hätten
 - die Statistiken der Arbeitsämter -, dann hätten Sie festgestellt, dass wir in der Bundesrepublik mehrere Tausend gut bezahlte Dozenten hatten. Jetzt sind es noch 94. Wenn Sie einen Lehrbeauftragten suchen, dann gehen Sie in die Universitäten! Dort können Sie mit Leuten sprechen, die für 500 Euro diese Arbeit machen und aufstocken gehen oder mehrere Jobs nebenbei machen. Im Wahlkampf sind manche zu mir gekommen und haben gesagt, sie arbeiteten für 800 Euro 40 Stunden die Woche und wüssten nicht, wie sie ihre Familie über die Runden bringen sollen.
Herr Schipanski, Sie verschließen die Augen davor. Sie haben sicherlich die richtigen Fragen zum Bericht gestellt, aber mit Sicherheit haben Sie niemals nachgefragt, wie die Situation dort wirklich ist. Mit Sicherheit haben Sie beim Bildungsstreik nicht die Schilderungen der Situation aufgenommen. Wenn Sie auf die Internetseite bildungsstreik.net gehen, werden Sie diese Beschreibung finden. Wenn Sie sich erkundigen, werden Sie feststellen, dass Ihre Politik an dieser Stelle versagt hat. Wenn Sie studiert haben, ist das schön, aber gelernt haben Sie nicht genug.

Zweitens zum Bahnverkehr. Für den Prestigebahnhof „Stuttgart 21“ plant die Regierung in den Haushalten mindestens 4,9 Milliarden Euro ein. Ich komme aus Jena, dem gern gepriesenen technologischen Leuchtturm Thüringens, der wohl 2017 vom Fernverkehr abgehängt wird, weil die ICEs dann über die Neubaustrecke über Erfurt fahren. Die Bahn verspricht eine super Zugverbindung nach Erfurt, aber Schwarz-Gelb streicht die Mittel für den notwendigen Ausbau der Mitte-Deutschland-Verbindung. Die Stadt Gera, die auch zu meinem Wahlkreis gehört, kämpft mit wirtschaftlichen Problemen. Eine gute Verkehrsanbindung würde nachhaltig helfen. Leider ist Gera seit Jahren vom Fernverkehr abgehängt. Chemnitz, Zwickau, Weimar, Eisenach alle diese Städte liegen ebenfalls an der Mitte-Deutschland-Verbindung und könnten sich nachhaltig entwickeln. Weil die Regierung aber Milliarden für „Stuttgart 21“ verschleudert, ist für andere Bahnnetzinvestitionen kein Geld mehr da. Das ist eine für uns nicht nachvollziehbare nachhaltige Deindustrialisierungspolitik. Ändern Sie die Haushaltsplanung zugunsten der Bahnstrecken in der Fläche. Das wäre nachhaltig. Drittens ganz kurz zur Steuerpolitik. Hätten FDP und CSU eine Nachhaltigkeitsprüfung gemacht, wäre ihnen mit Sicherheit der Hotel-Mehrwertsteuer-Schwachsinn nicht passiert. Sie können sicher sein, dass wir die Arbeit des Beirates engagiert und nachhaltig unterstützen. Aus unserer Sicht sind in der Stellungnahme zum Bericht die entscheidenden Schwerpunkte bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Deshalb werden wir uns enthalten.