Energiewende zukünftig ohne deutsche Solarindustrie?

Ralph Lenkert
Ralph LenkertRedenBundestagThemenSolarWirtschaft

Rede im Bundestag am 29.02.2012 zu TOP ZP1
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Auswirkungen der geplanten Kürzung der Solarvergütung von bis zu 32 Prozent auf die Energiewende und den Arbeitsmarkt insbesondere in Ostdeutschland sowie drohender Stillstand bei der EU-Energieeffizienz-Richtlinie


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Will diese Regierung die Energiewende? Wollen die Herren Rösler und Röttgen      mit der erneuten Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz wirklich die Verbraucher schützen? Die Einspeisevergütung sinkt zum 9. März dieses Jahres um über 20 Prozent. Ab Mai dieses Jahres wird sie dann monatlich um 15 Cent je Kilowattstunde verringert. Damit fällt die Vergütung von Solarstrom aus neuen Anlagen von etwa 21 Cent auf 17 Cent je Kilowattstunde. Laut Bundesregierung soll durch diese Kürzung der Zubau von Photovoltaikanlagen auf 3 Gigawatt reduziert werden. Dann betrüge die Gesamtentlastung für die Stromkunden 660 Millionen Euro. Fast könnte man eine soziale Ader der Koalition vermuten ‑    wenn da nicht die umgewälzten Strompreisrabatte für die Industrie wären. Nach einer Studie von arepo consult im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung müssen Bürgerinnen und Bürger, Handwerker und Unternehmen jährlich 3,25 Milliarden Euro für die Befreiung der Industrie von Netzentgelten und EEG- Umlage bezahlen. Der Staat verzichtet zum Wohle der Großunternehmen jährlich auf über 6,5 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Ökosteuer und dem Handel mit CO2-Zertifikaten. Wir alle zahlen Monat für Monat 100 Euro mehr zugunsten der Industrie. Das belegt: Wenn Rösler und Röttgen die Verbraucher schützen wollten, dann müssten sie die Ausnahmen für die Industrie begrenzen.

Bei Photovoltaikmodulen kommt es zu Preissenkungen. Die Preise für die Installation auf Dächern und Freiflächen sinken im Laufe der Jahre kaum, doch bei größeren Anlagen werden sie anteilig kleiner.  Mit der Novelle wird deshalb gerade die Installation kleiner, dezentraler Photovoltaikanlagen unrentabel. Nach der erneuten, plötzlichen und überzogenen Kürzung bei der Solarstromförderung kann niemand weitere Rösler-/Röttgen-EEGKapriolen ausschließen. Weder Herstellerunternehmen noch Investoren können so für die Zukunft planen. Den Solarfirmen brechen seit letztem Donnerstag Kunden, Finanzbeteiligungen und Kreditlinien bei den Banken weg.

Wer neue Solaranlagen plante, weiß nicht mehr, wie es weitergeht. Wer profitiert davon? Es sind die großen Stromkonzerne, weil der Ausbau der Solarstromerzeugung ausgebremst wird und so mehr Platz für konventionellen Strom im Netz bleibt. Dass dabei die einheimische Solarindustrie stirbt, wie die Solon AG, ist gewollt; denn diese liefert eben auch an Häuslebauer und Landwirte. Die asiatischen Großhersteller bevorzugen dagegen auch große Kunden. Somit können RWE, Eon, EnBW und Vattenfall ihr Monopol auch in diesem Bereich sichern. Diese Regierung verdirbt die Energiewende!
120 000 Menschen arbeiteten 2011 in der Solarindustrie. In Thüringen wurden für neue Arbeitsplätze durchschnittlich 40 000 Euro an Fördermitteln gezahlt.

Will man mit diesem Fördersatz 120 000 neue Ersatzarbeitsplätze schaffen, so kostet dies 4,8 Milliarden Euro. Die Kosten für einen Arbeitslosen liegen bei 20 000 Euro je Jahr. Teile ich die 660 Millionen Euro an gestrichener Solarförderung durch die gefährdeten 120 000 Jobs, dann stelle ich fest: Diese Regierung riskiert jeden dieser Arbeitsplätze für 5 500 Euro. Das ist volkswirtschaftliches russisches Roulette.
Die Solarbranche hat ihre Kosten in den letzten Jahren massiv gesenkt. Schon heute kostet Solarstrom weniger, als Sie und ich je Kilowattstunde bezahlen.

In fünf bis sieben Jahren wird Solarstrom billiger als Strom aus Windkraft sein. Spätestens in zehn Jahren wird Solarstrom preiswerter sein als Strom aus Gaskraftwerken. Solarstrom hat daneben einen praktischen Vorteil: Den höchsten Stromverbrauch des Jahres in Südeuropa und anderen wärmeren Ländern gibt es im Sommer mittags bei strahlender Sonne, wenn alle Klimaanlagen Höchstleistungen bringen. Preisfrage: Welche erneuerbare Energie liefert dann den meisten Strom? ‑ Dieser Strommix deckte übrigens auch bei uns die Mittagsspitzen in diesem Winter ab.

Damit von dieser positiven Preisentwicklung und den Vorteilen der Photovoltaik auch die einheimische Solarbranche profitiert, damit nicht zum zweiten Mal in 20 Jahren Teile Ostdeutschlands deindustrialisiert werden, schlägt die Linke folgende Maßnahmen vor: erstens die Einrichtung eines Programms zur sicheren Finanzierung der Solarunternehmen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, zweitens die Unterstützung von Grundlagenforschung zur Speicherung und Netzintegration von Solarstrom, drittens die Herstellung von zuverlässigen Rahmenbedingungen für die Solarbranche, viertens die Verlängerung der bis 31. Dezember 2011 befristeten Sonderregelung für Kurzarbeiter für die Solarindustrie und fünftens die Ergänzung des EEG um eine Förderung der Tagesspeicherung von Solarstrom.

Die Linke will die Energiewende. Wir kämpfen für gute, zukunftsfähige Arbeitsplätze in der Solarindustrie ‑ in Frankfurt, in Bitterfeld, in Thalheim, in Arnstadt, in Nürnberg, in Jena und an anderen Standorten. Wir wollen eine saubere, dezentrale Energieversorgung, bei der die Steuereinnahmen und Gewinne in den Kommunen bleiben und Menschen ihren Lebensunterhalt in Solarfirmen verdienen können. Dafür sind wir zur Zusammenarbeit bereit.