Die Konsultation endete am 23.06.2014
meine Einwendungen zum Szenarienrahmen des NEP 2025
Der Szenariorahmen 2022 ging grundsätzlich davon aus, dass ein barrierefreier Handel mit Strom europaweit möglich werden soll. Auf dieser Grundlage sind die Netzentwicklungspläne 2012-2014 entstanden, die einen massiven Bedarf für Leitungsneubau feststellen. Insbesondere ein Overlay-Netz mit vier geplanten 500kV-HGÜ-Trassen ist nunmehr Gegenstand der Netzplanung und der Bundesfachplanung. Der bislang geplante Leitungsneubau ist dabei notwendigerweise für das System ausgelegt, dass dem Szenariorahmen entspricht. Bei einer 1:1-Umsetzung der nach dieser Methode ermittelten Neubau-Projekte wird in der Realität genau das Strom- und Handelssystem forciert werden, von dem der Szenariorahmen heute ausgeht. Durch diesen Umstand wird der Netzentwicklungsplan zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass in den kommenden 20 Jahren die politischen, technologischen und wirtschaftlichen Rahmen so statisch bleiben, wie der Szenariorahmen 2012 dies zu Grunde legte.
Die aktuellen politischen Entwicklungen, Fortschritte bei Energieeffizienz, Fortschritte in der Forschung bei Steuerungstechnologie, Fortschritte in der Speicherforschung, Fortschritte in der Gleichstromtechnologie, die Verknüpfung der Höchst-, Mittel- und Niederspannungsnetze werden bislang komplett nicht in Betracht bezogen.
Obwohl mit der Konsultation zum Szenariorahmen 2025 nun erstmals sogenannte Sensitivitätsbetrachtungen gemacht werden, bleibt das Grundproblem weiter bestehen. Man geht von einem barrierefreien Stromhandel in Europa aus, von einer räumlichen Abschalthierarchie der fossilen Kraftwerke in Deutschland, die sich einzig auf Kostenbetrachtungen beschränkt, nicht auf Sinn- und Zweckmäßigkeit. Man nimmt weiterhin an, dass in den kommenden 20 Jahren stetig das heutige Marktdesign und die politischen und technologischen Rahmen fortbestehen. Das kann und wird nicht der Realität entsprechen.
Weder der Szenariorahmen noch die Netzentwicklungspläne befassen sich mit der Frage, inwieweit Netzausbau minimiert werden könnte.
In der Verantwortung, Netzausbau nur zu betreiben, wo es unbedingt nötig ist, muss der Szenariorahmen 2025 politische, wirtschaftliche und technologische Variablen betrachten und auf dieser Grundlage ein Referenzszenario entwerfen, in dem Netzausbau minimiert wird und die einzelnen Instrumente und Stellschrauben gegeneinander und miteinander in ihrer Wirksamkeit verglichen und bewertet werden. Erst auf dieser Grundlage wird es möglich sein, im Vergleich mit den bestehenden Leitszenarien die volkswirtschaftlich sinnvollste und sozialverträglichste Lösung zu finden. Das schafft nicht nur Akzeptanz für etwaigen ermittelten Netzausbaubedarf, sondern es sorgt auch für eine grundsätzliche Qualifizierung der Netzentwicklungspläne.
2.1. Marktmodell: Freier Handel
2.1.1. Mehrkosten
Der barrierefreie Handel mit Strom in Europa sorgt nicht nur für Wettbewerb und so angeblich niedrigere Preisniveaus. Durch den Handel mit Strom zwischen Skandinavien und der Schweiz und Italien, aber auch zwischen Österreich und Frankreich und zwischen anderen Netzgebieten wird in der Bundesrepublik Netzausbaubedarf ermittelt.
Innerhalb Deutschlands sorgt der freie Handel für Mehrkosten durch Netzverluste, die beim Handel mit Strom über große Strecken entstehen. Durch die gegenwärtige Kostenwälzung im Übertragungsnetz werden Transportverluste in der jeweiligen Regelzone, in der sie entstehen, auf die Verbraucher umgelegt. Diese Kosten betrugen € 354 Mio. im Jahr 2012 (BNetzA). Diese Kosten werden durch vermehrten Stromtransport weiter steigen. Diese Entwicklung ist für Verbraucherinnen und Verbraucher inakzeptabel.
Frage: Welcher Netzausbaubedarf wird allein für reinen Stromtransit ermittelt und mit welchen Investitionssummen würde dieser zu Buche schlagen?
Forderung: Betrachtung etwaiger Reglementierung des Stromhandels in einem Referenzszenario
Aus der angesprochenen Kostenwälzung bei freiem Stromhandel entsteht ein weiteres Problem:
2.1.2. Räumliche Abschalthierarchie der konventionellen Kraftwerke
Kohlekraftwerke in Küstennähe können Strom billiger produzieren als Kohlekraftwerke weiter südlich, da für diese höheren Transportkosten der Brennstoffe entstehen. Durch den freien Handel mit Strom innerhalb Deutschlands, dessen Mehrkosten nicht bei den Händlern, sondern wie oben aufgeführt bei den Verbrauchern abgewälzt werden, ist es für Großverbraucher von Strom rentabel, Strom bei Großkraftwerken in Küstennähe einzukaufen. Bei der Abwicklung des fossilen Kraftwerkspark werden nach Marktlogik zuerst die unwirtschaftlichsten vom Netz gehen. Nach gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist ein Kohlekraftwerk umso unrentabler, je weiter es im Süden steht. Die unterschiedliche Lastenverteilung innerhalb Deutschlands wird durch den freien Handel in Zukunft also verschärft werden und erfordert Netzausbau.
Forderung: Betrachtung einer zweckmäßigen Allokation der Abschalthierarchie des fossilen Kraftwerksparks in einem Referenzszenario
2.2. Marktmodell: Fehlende Verknüpfung mit anderen Netzebenen
2.2.1. Netzausbauplan Verteilnetze nicht in Betracht gezogen
Weder im Szenariorahmen noch in den Netzentwicklungsplänen wird auf die Feinheiten des Netzausbaus der Verteilnetze eingegangen und welche Auswirkungen sie auf die Übertragungsnetze haben.
Forderung: Ausbaupläne der Verteilnetze analysieren und in die Leitszenarien integrieren
2.2.2. Weitere Netzebenen nicht in Betracht gezogen
Die Potentiale des Mittelspannungsnetzes werden nicht in Betracht gezogen. So liefert auch der Netzentwicklungsplan keine Auskünfte darüber, inwieweit ein Um- oder Zubau auf Verteil- und Mittelspannungsnetzebene Möglichkeiten der Netzoptimierung liefern kann. Insbesondere, da die Verlegung von Erdkabeln im Mittelspannungsnetz mittlerweile Standard ist, läge hier Potential zur Akzeptanzschaffung für etwaigen notwendigen Netzausbau.
Frage: Welches Potential liegt in der Optimierung, im Zu- und Umbau der Mittelspannungs- und Verteilnetze für die Übertragungsnetze? Mit welchen Kosten wäre das verbunden?
Forderung: Aus- und Umbaupläne der Mittelspannungsnetze in den Leitszenarien in Betracht ziehen. Außerdem: Potential weiteren Aus- und Umbaus der Verteil- und Mittelspannungsnetze in einem Referenzszenario erörtern.
2.3. Netzminimierungspotential feststellen
Mit ersten Betrachtungen von sogenannten Sensitivitäten im Rahmen der Konsultation dieses Szenariorahmens ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Dennoch wird auch auf Grundlage dieses Szenariorahmens wieder nur eine starre Betrachtung der auf Grundlage heutiger energiepolitischer und wirtschaftlicher Rahmen durchgeführt werden.
Um dem Anspruch auf Vollständigkeit bei der Netzplanung gerecht zu werden, bedarf es einer Abschätzung möglicher zukünftiger politischer Entscheidungen und Reglementierungen des Marktes, sowie einer Abschätzung der Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik und hier insbesondere von Effizienztechnologie und Speichertechnik.
Zunächst muss ermittelt werden, welche Stellschrauben, sei es bei Effizienzmechanismen, bei politischen Rahmenbedingungen oder Verbrauchs- und Einspeisemanagement, geeignet sind, Netzausbau zu minimieren.
Forderung: Erarbeitung eines Katalogs mit Maßnahmen, die geeignet sind, Netzausbau zu minimieren als Grundlage für ein Referenzszenario
Derartige Abschätzungen müssen Gegenstand der Leitszenarien werden und in einem Referenzszenario erörtert werden.
Weitere Szenarien entwickeln und Sensitivitäten bündeln
Um den vielfältigen Möglichkeiten zukünftiger Entwicklungen gerecht zu werden, sollten die Leitszenarien mit weiteren Szenarien ergänzt werden, in denen derartige Möglichkeiten erörtert und bewertet werden.
Ich fordere die Bundesnetzagentur und die Übertragungsnetzbetreiber auf,
Die einzelnen Maßnahmen müssen sowohl gebündelt, als auch einzeln in ihrer Wirksamkeit überprüft werden, so dass für den Gesetzgeber Anhaltspunkte entstehen, inwieweit er mit geeigneten, klimapolitisch sinnvollen und sozialverträglichen Instrumenten positiv auf die zukünftige Versorgungssicherheit Einfluss nehmen kann.
Ein derartiges Szenario wäre Ausgangspunkt für die Versachlichung der Debatten um konkrete Leitungsprojekte, insbesondere gegenüber den Anwohnern der zukünftigen Trassen.
Ralph Lenkert, MdB
Berlin, 6. Juni 2014